Was uns Bushs Besuch bedeutet

Böse sind allein die Waffen

Schlimmer hätte es nicht losgehen können. Eyck Loos ruft an, er klingt besorgt: „Es gibt ein Problem mit dem Bush-Besuch.“ Das Problem ist sein Zeh. Er hat beim Fußball in die Erde getreten. Jetzt wackelt ein Nagel und mit ihm wanken alle Pläne. Er sagt: „Als Invalide auf einer Demo mit so vielen Bullen, da haste doch schon verloren.“

Der Verlierer zieht einen Fuß leicht nach, als er den Treffpunkt erreicht, von dem aus es losgeht zum Bush-Protest: die „Völkerfreundschaft“ am Prenzlauer Berg. Der 33-jährige wohnt gleich über der Kneipe, arbeitet im Hinterhof für einen Mountainbike-Versand. Um die Ecke am Kollwitzplatz hat einst Clinton mit dem Kanzler getafelt. Nervig fand Eyck Loos diese erste Begegnung mit einem US-Staatschef. Der Weg zur Wohnung seiner Freundin war blockiert.

„Der Bush“, sagt der Ostberliner mit dem dicken Ring im Ohr, „ist aber noch eine ganz andere Kragenweite.“ Eyck Loos misst mächtige Menschen gern an ihrer Kragenweite. Ein ungewöhnliches Maß für einen gelernten Steinmetz, der sich „eher dem anarchistischen Spektrum zuordnet“ und der Jeans und T-Shirt trägt. Auf Eyck Loos’ weltweiter Kragenweiten-Skala steht George W. Bush auf Platz eins. „Der macht unsere Welt kaputt. Der hat sein Volk auf einen totalen Krieg eingeschworen. Dessen Armee kann jederzeit irgendwo hinfliegen und einen Krieg anfangen. Der hat nur Macht, Geld, globale Märkte und schwindende Ressourcen im Kopf. Der soll wissen, dass er hier nicht willkommen ist.“

Eigentlich träumte auch Eyck Loos vor Jahren von Amerika. Damals gab es die DDR noch und die Ostberliner Produktionsgenossenschaft Handwerk lehrte ihn, wie man Steine zurechtmeißelt. Amerika, das ist der böse, imperialistische Aggressor, hatte der Staatsbürgerkunde-Lehrer gepredigt. Amerika, das ist ein Land, wo jeder frei reden und reich werden kann, hat sich Eyck Loos gedacht. Abhauen wollte er in dieses Land. Heute ist das anders. Heute erzählt er von seinen früheren Ansichten wie von einer Jugendliebe, für die man sich Jahre später ein bisschen schämt: „Das war“, sagt er, „krass der Pubertät geschuldet.“ Knapp 15 Jahre später findet er, dass nicht alles so idiotisch war, was die DDR-Propaganda über die USA verbreitete.

Nicht, dass Eyck Loos die DDR vermissen würde. Im Wendeherbst hat er tolle Leute kennen gelernt, hat bei Bärbel Bohley geklingelt, ihr seine Solidarität erklärt, hat sich von Sicherheitsleuten den Kopf aufs Pflaster des Alexanderplatzes drücken lassen, hat so lange vor der Gethsemanekirche ausgeharrt, bis er aufs Klo musste. Und als Honni weg war, blieben andere Probleme: Rüstungsexporte, NPD-Aufmärsche, Kriege. Proteste gehören jetzt zu Eycks Loos Leben wie Fahrräder. Der Bush-Besuch, sagt er, ist „ein Höhepunkt, wo man hingeht“.

So humpelt er schließlich mit wackelndem Zehennagel von der „Völkerfreundschaft“ zur ersten Demo am Alexanderplatz. Die Sonne strahlt, die Leute trommeln, tanzen, futtern Brezeln. „Wie auf dem Jahrmarkt“, sagt Eyck Loos. Vor Polizisten muss hier keiner wegrennen. Praktisch eigentlich, aber er macht ein gelangweiltes Gesicht. Das kann nicht der Höhepunkt gewesen sein. Er wird wiederkommen, wenn Bush selbst da ist.

ASTRID GEISLER

Es sollen jetzt doch ein paar mehr Studenten werden, zwanzig, nicht nur fünfzehn, wie angekündigt. Auch kein Problem. Haben ja alle ihre Iso-Matten dabei und Schlafsäcke. Annette Richter steht neben ihrem gebrauchten Post-VW und erklärt einem der Übernachtungsgäste nochmal den Weg zu ihrem Haus in Tegel. Sie hat ihren Wagen gleich hinter der Bühne geparkt, die die Bush-Kritiker von der „Achse des Friedens“ auf dem Berliner Alexanderplatz aufgebaut haben. Eigentlich, so war es ausgemacht, sollte ihr Auto als Rückzugsraum für interne Besprechungen dienen. Aber jetzt tagen die Wichtigen dieser Demo lieber im abgesperrten Backstage-Bereich, wo nur solche von den Ordnern durchgelassen werden, die sich mit einem roten Button ausweisen können. Frau Richter hat keinen solchen Button.

Seit 1981 engagiert sich die 49-Jährige in der Friedensbewegung. Damals ist sie aus Sorge vor einem drohenden Atomkrieg mit skandinavischen Frauen nach Paris marschiert. Seither hat die frühere Postbeamtin keine Möglichkeit ausgelassen, für Frieden und Abrüstung zu demonstrieren. War auf dem Weltfriedenskongress in Kopenhagen. Hat mit Freunden das „Deutsch-Japanische Friedensforum“ gegründet, Briefe gegen Atomtests in Nevada geschrieben, im Berliner „Anti-Kriegs-Museum“ gearbeitet.

Richters Friedenswille ist mütterlicher Instinkt: „Man muss etwas für die Menschen tun, vor allem für die Zukunft der Kinder.“ Und so fragt sie sich auch diesmal: „Wer hat die Weisheit? Die Macht, das Geld? Oder die Menschen?“ Die Macht und das Geld – damit meint sie die Rüstungsindustrie. Die globale.

Annette Richter ist nicht gegen Amerika. 1994 war sie für vier Wochen in New York. Am liebsten wäre sie gleich ganz dort geblieben. In der amerikanischen Friedensbewegung hat sie Freunde. Die Aktivistin Josie Stein hat sogar mal bei ihr übernachtet, als sie Deutschland besuchte. Und als Jesse Jackson, ehemals Präsidentschaftskandidat, da war – „das war toll“. Der Gegner, das ist die Rüstungsindustrie, gerade auch die europäische: „Ich sehe die Gefahr, dass es auch mal zum Krieg kommt mit den USA, wenn Europa stark genug ist.“

Sie hat Angst vor Gewalt. Als beim Reagan-Besuch ein Geschäft am Nollendorfplatz brannte, war ihr mulmig. „Das kann man so nicht regeln. Ich war nie so aggressiv“, sagt sie, aber sie sagt auch: „Die Autonomen darf man nicht hängen lassen. Man muss auch bereit sein, sich mit radikalen Gedanken auseinander zu setzen. Die Macht ist auch radikal.“ Schon gar nicht will sie sich Gewaltbereitschaft unterstellen lassen von Menschen, „die mich nicht kennen“.

Warum müssen es immer dieselben Leute sein, die auf der Bühne sprechen dürfen? Annette Richter hat vorgeschlagen, dass da doch auch mal ganz normale Leute aus der Bevölkerung sprechen sollen, aber ihr Vorschlag ist abgelehnt worden. Auf der Bühne werden gerade die Teilnehmerzahlen verkündet, und dass „wir immer mehr werden“. Richter hört nicht hin. Ein alter Mann im Rollstuhl will die Straße überqueren, kommt aber nicht rüber, weil das Pressezelt der „Achse des Friedens“ den Übergang verstellt. „Soll ich meinen Wagen wegfahren?“, fragt Annette Richter.

STEFAN KUZMANY

Die Welt von Jutta Petenati ist in zwei Felder aufgeteilt. Aus einer Polstergarnitur heraus kann sie das erklären, im Sitzen bei Kaffee und Keksen, so kinderleicht ist diese Aufteilung. Es gibt Recht und Unrecht, die gute Vergangenheit und die schlimme. Dazwischen gibt es Verwischungen, das weiß man nach 73 Jahren Leben. Aber dass die gute Welt seinerzeit nicht in die böse gekippt ist, das haben wir den Amerikanern zu verdanken. „Wir hätten ja nie überlebt, wenn es die nicht gegeben hätte.“ Jutta Petenati klopft mit ihren Ringen auf den Couchtisch, sie war Grundschullehrerin vor der Rente.

„Diese Hilfe dürfen wir nie vergessen“, meint sie. Wegen der eigenen Flucht aus der sowjetischen Besatzungszone, der Luftbrücke, der Care-Pakete und allem – wegen dieser historischen Schuld wird Jutta Petenati immer für die Amerikaner sein. Auch wenn der jetzige Präsident einem vielleicht weniger sympathisch ist als sein Vater. Oder noch besser Kennedy, zu dessen Rede sie hingerannt ist, damals, 1963 vor dem Schöneberger Rathaus, „weil es einfach sein musste, als Mensch, der für die Freiheit ist“. Zeitungsartikel von damals liegen auf dem Tisch.

Amerika rettete die Stadt

Von den Amerikanern hat Petenati damals die Demokratie gelernt, 1947 im Nachbarschaftsheim in Westberlin. Dass alle eine Stimme haben und nicht nur einer von oben bestimmt. „Wir konnten das ja nicht.“ Im Nachbarschaftsheim hat sie auch ihren Mann gefunden. Square-Dance-Schritte haben die Amerikaner ihnen beigebracht an heiteren Abenden und wie man Halloween feiert. Und zu Weihnachten hatten sie mehrmals einen US-Soldaten zu Besuch. Das war schön. Petenati guckt auf die Schwarzweißfotos im Album. Auf einigen ist ihr Mann abgebildet, der inzwischen an Krebs gestorben ist. Nachmittagssonne bricht durch die Gardine, draußen ist Mai.

Wenn es ärgerlich wird, fängt Jutta Petenati an schneller zu reden. Damit genug Sprache reinpasst in die Zeit, die trotzdem zu knapp scheint, um die Aufregung in genügend haspelnde Sätze zu pressen, die Wut über Berlins Regierenden Bürgermeister Wowereit. Der Bürgermeister, der fast nach Australien „abgedampft“ wäre, dann, wenn der amerikanische Präsident kommt.

Fast hätte Gysi, „dieser Wolf im Schafspelz“, als Stellvertreter Bush die Hand schütteln müssen. „Nein, um Gottes willen! Da dreht sich die Welt wirklich um!“ Sie lacht theatralisch. Gerade ist sie ausgetreten aus ihrem SPD-Kreisverband, nach über 20 Jahren. Wegen der Regierungskoalition der Partei mit der PDS in Berlin, die „immer noch Stalinisten und marxistische Kader“ beherberge. Und jetzt rufen die Sozialisten zu Demonstrationen beim Bush-Besuch auf. „Das ist so furchtbar! Man muss doch die Form wahren, wenn der amerikanische Präsident kommt.“ Sie will auf keinen Fall, dass Steine fliegen, dass das Böse über das Gute fällt.

Heute wird Jutta Petentati durch den Fernseher zum Brandenburger Tor schauen, dahin, wo George W. Bush stehen wird. „Hoffentlich passiert nichts Schlimmes.“ Sie stemmt sich aus der Polstergarnitur und zieht die Schultern nach oben, die Stimme klingt fast flehend jetzt.

KIRSTEN KÜPPERS