Ohne Unschuld

Braucht sich nicht als Gespenst zu verkleiden, um zu erschrecken: Creme De Menthe macht Techno-Pop

Die 80er-Synthie-New-Waver Cabaret Voltaire, Tubeway Army, Soft Cell und die frühen Depeche Mode wirkten oft peinlich und posiert, weil ihre Instrumente für die Popmusik noch kaum erschlossen waren. Sie probierten halt rum, das war mindestens so punkig wie eine Gitarrenband mit Stachel-Frisur, und diese Unschuld kann man 20 Jahre später höchstens noch simulieren. Und wie viele andere tut das Creme De Menthe aus Glasgow.

Das ist der Elektro-Artist Matthew Aldworth, der nach zweieinhalb Jahren lokaler Aktivität jetzt die erste Maxi mit vier Stücken veröffentlicht hat. Eine Platte, die klingt, als ob er sich ärgern würde, wenn man dazu tanzt. Der Titeltrack „Plastique“ ist vor allem eine garstig kreissägende Synthesizerlinie, dumpf, schrill verzerrt, je nachdem, wie der Filterknopf gerade steht. Dazu spukende Töne, das Hupen von Spielzeugautos, der Rhythmus von New Orders „Blue Monday“ – keine gesampelten Zitate, alles die Urklänge antiquarischer Maschinen. Als ob er auf dem Pentium-Chip C64-Games spielen würde. Aldworth singt auch, Sprechgesang wie Underworld: „You like plastique, you like the sound it makes against your skin.“ Ziemlich platt, aber der Ort für diese Musik ist auf diese Art anschaulich beschrieben.

Creme De Menthe macht Techno-Pop, der nur deshalb an die 80er erinnert, weil er demonstrativ die Schlüsselreize der tagesaktuellen Dance- und Electronica-Produktion ignoriert. Dilettantismus? Merci! Solche Sachen haben Daft Punk und andere auch schon gemacht. Es werden immer mehr: Fischerspooner, Felix Da Housecat, Miss Kittin, Electronicat aus Paris. Mittlerweile spricht man von einer richtigen Szene, von „Disco Nouveau“ oder „Electroclash“ – Letzteres nach einem avantgardistisch konzipierten Festival, das vergangenen Oktober in New York stattgefunden hat. Matthew Aldworth kündigt an, dass er bei seinen Konzerten vor allem rumsteht und an Knöpfen dreht. Früher hat er sich manchmal als Gespenst verkleidet, das Publikum reagierte erschrocken. Dann hörte es hin und erschrak noch mehr. Joachim Hentschel

heute (mit DJ Upstart/Disko B), 22 Uhr, GUM (Hamburger Berg 13)