: Dichtmachen oder „gleich abreißen?“
■ Die öffentliche Diskussion um den Umbau der Stadthalle wird verschleppt. Roland Rainer, der Architekt, fürchtet: „Es bleibt nur eine Karikatur übrig“. Denkmalpfleger Georg Skalecki will das Schlimmste verhindern
Die Bremer Architekten lassen sich nur selten unter einen Hut bringen. Vielfalt der Ansichten hat hier Tradition. Deshalb muss schon ein besonderer Grund vorliegen, wenn sich der Vorstand der Bundes Deutscher Architekten (BDA) und der Vorstand der Bremer Architektenkammer mit Nachdruck auf ein gemeinsames Thema einlassen. Dieser besondere Grund ist die Sorge um die Bremer Stadthalle.
Die soll bekanntlich umgebaut werden (siehe auch taz vom 18.5.). Was die beiden Organisationen vor allem beklagen, ist das Informationsdefizit in dieser Angelegenheit. Deshalb hatten sie mit dem „Weserkurier“ ein Expertengespräch initiiert, dass kommenden Montag in der Bürgerschaft stattfinden sollte.
Inzwischen ist dieser Termin abgesagt. Grund: die beiden Vertreter des Bauherren, Klaus Kleybold von der Stadthalle und Michael Göbel von der Hanseatischen Veranstaltungs Gesellschaft (HVG) sind „verhindert“. Merkwürdig – war der Termin doch langfristig geplant und bereits mehrmals verschoben worden. Jetzt wollten die Veranstalter Architekt Thomas Klumpp, der den Umbau plant, nicht allein im Regen stehen lassen.
Der eigentliche Grund der Unpässlichkeit? „Eine Hinhaltetaktik“, vermutet BDA-Vorsitzender Ulrich Tilgner. Und auch Kammer-Vize Michael Frenz will nicht an die Zufälligkeit der Absage glauben – so kurz vor der vermutlich entscheidenden Sitzung des Wirtschaftsförderungsausschussses am kommenden Donnerstag.
Denn der Umbau der Stadthalle ist in Fachkreisen äußerst umstritten. Mit „eher kontra“ fast Frenz das Meinungsbild sehr diplomatisch zusammen. Er selbst spricht von „Kastration“ und meint, bei der vorgesehenen Lösung – das charakteristische Hängedach soll zerstört und ein neues, völlig anders konstruiertes Dach hinten „aufgesattelt“ werden – wäre es besser, das Ganze „gleich abzureißen“.
Ähnlich drastisch – nur im umgekehrten Sinn – argumentiert HVG-Pressesprecher Torsten Haar. Wenn man die Halle jetzt nicht modernisiere und die Zuschauerkapazität erweitere, würden in Zukunft Bands wie „Böhse Onkelz“ und „Tote Hosen“ Bremen meiden, was einen Negativeffekt auch bei kleineren Ereignissen zu Folge habe. „Dann kann die Stadthalle gleich dichtmachen.“ Die jetzt vorgetragenen Bedenken würden ohnehin nur von einer Teilöffentlichkeit „angezettelt“. Die Veränderungen seien marginal und beim „flüchtigen Hinsehen“ auch gar nicht auszumachen. Der Fachöffentlichkeit wollte er das jedoch offenbar nicht so sagen.
Derweil weist Roland Rainer, der hochbetagte Architekt dieses Bremer Zankapfels, „in aller Deutlichkeit“ darauf hin, „dass das Erweiterungsprojekt kein Erweiterungsprojekt ist, da von den Baugedanken der alten Halle fast nichts übrig bleibt als eine Karikatur.“ Rainers Hoffnung, „dass die Diskussion über diese merkwürdige Angelegenheit gründlich und sachkundig geführt werden wird“, scheint sich im Moment alles andere als zu erfüllen.
Auch Bremens oberster Denkmalpfleger Georg Skalecki – noch nicht lange im Amt – hat die Absage der Diskussion „mit großem Bedauern“ zur Kenntnis genommen und meint: „Die geplanten Veränderungen sind alle nicht glücklich.“ Denn durch die aufgeschobene Dachkonstruktion ginge „der spannungsvolle Bogen“ der Seitenansicht verloren. Skaleckis will nun das Schlimmste verhindern – das etwa dann eintreten würde, wenn das neue Dach wie ein „aufgesattelter Rucksack“ in der Vorderansicht auftauche.
Man könnte sich fragen, warum zum Beispiel die St. Lukas-Kirche in Grollland (Architekt: Carsten Schröck, konstruktive Beratung: Frei Otto), die ebenfalls durch ihre konstruktive Besonderheit hervorsticht, seit 1994 unter Denkmalschutz steht – die zeitgleich fertiggestellte Stadthalle aber nicht? Skalecki erklärt: Bei öffentlichen Gebäuden jüngeren Datums gäbe es eine Art Gentlemen's-Agreement – diese Bauwerke würden formal nicht unter Schutz gestellt, bei beabsichtigten Veränderungen die Denkmalpflege aber umgehend einbezogen.
An diesem Punkt beginnt man zu ahnen, wie spannend die Diskussion am Montag geworden wäre.
Eberhard Syring
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