„Fad wie in der Schweiz“: Die Fans spielten beim Bad Religion-Konzert im Aladin Räuber und Gendarm

Überall Zeichen. Fängt bei den drei Besuchern an, die mit Hamburger Kennzeichen und eingeschlagenen Autofenstern beim „Aladin“ vorfahren. Auf der Plane im Bühnenhintergrund geht's weiter, Hammer, Sichel, Totenkopf, Dollar, Freischwimmer und das durchgestrichene Kreuz. Drummer Brooks Wackerman hängt die Zunge aus dem Mund, als wäre er 15 und hochkonzentriert bei Lektion Drei im „Großen Buch für Schlagzeug und Perkussion“. Denn da lernt man das Geradeaus-Spielen. Und das war Thema an diesem Abend, wie es Thema auf der neuen Bad-Religion-Platte „Process of Belief“ ist – keine Experimente. Erwartungssicherheit für alle Beteiligten, vor allem was den Mitgröl-Faktor des nächsten Refrains betrifft.

Aber an diesem Abend klappt auch das mit den Drei-Akkord-Hymnen nicht so recht: Bad Religion haben Schwierigkeiten mit dem Sound auf der Bühne und irgendwie keine Lust und sowieso nur noch zwei Termine in Deutschland, bevor sie wieder zurück in die USA dürfen. Gitarrist Brian Baker spuckt hie und da mechanisch auf die Bühne und Sänger Gregg Graffin fällt nicht recht viel mehr ein als: „Wir wünschen euch eine fucking good Spargel-Season.“

Das Zappeln von früher hat Graffin reduziert, die Geste des Mannes, der sich ständig rechtfertigen muss, wirken leer. Greff ist einer, der sich ständig selber überholen muss und dabei zum Melancholiker wird – an diesem Abend bleibt's beim genervten Rock'n'Roll-Buben. Alle Harmoniebögen sind eingestampft, von der aggressiven Sehnsucht der Songs bleibt nur ein Punk-Brett von der Stange. Bad Religion machen ihre Mitgröl-Qualitäten platt. Und Sänger Graffin gibt seine Frontmann-Rolle ab an Bassist Jay Bentley.

Was die Sache nicht besser macht. Bentley besteht partout darauf, ein Punk-Konzert zu spielen und weil musikalisch nichts geht, denkt er sich eine Beschäftigung für die Fans aus: Ziel des Abends soll sein, die Security-Schranke vor der Bühne zu überwinden und die Bühne zu entern. „Du musst warten, bis er mit jemand anderem rangelt und sich nicht um dich kümmern kann.“

Damals, in den 70ern, rissen Punk-Musiker noch selbst mit Freuden die Grenze zwischen Bühne und Publikum nieder. Bei Bad Religion initiieren sie nur noch ein Räuber-und-Gendarm-Spielchen zwischen Fans und Ordnern, stehen blöd grinsend darüber und stacheln an: „Das ist ja fad wie in der Schweiz hier. Kämpft euch durch!“

Die Fans nehmen das peinlicher Weise nicht übel, sondern spielen mit. Und als es am Schluss keine Zugabe gibt, gehen sie widerspruchslos. Letzteres ist verständlich: Bad Religion waren an diesem Abend nicht mehr als schlecht organisierte, satte Angestellte der Musikindustrie. In ein Auto ohne Seitenfensterscheiben wären sie nicht gestiegen.

Jakob Flex