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Europas eiliger Netzeknüpfer

In kritischen Momenten kann Solana den Eindruck erwecken, er sei körperlich gar nicht anwesend

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Staubig die Brille, struppig der Bart, zerknittert der Anzug. Wenn Javier Solana das Podium eines Konferenzraums betritt, erwartet man, dass er sich gleich zu seinen Begleitern umdreht und zerstreut fragt, welches Thema seine Vorlesung denn heute habe. Die Schultern sind vorgebeugt, der Kopf leicht eingezogen, als wolle er den Anwesenden keinesfalls seine Körpergröße aufzwingen. Mit dem träumerisch-entschuldigenden Lächeln wäre er in einem Campusfilm die Idealbesetzung für den linksliberalen Hochschullehrer.

Seine langjährige Sprecherin Christina Gallach, die schon sein Leben als Nato-Generalsekretär managte, lacht über diese Vorstellung. Solana sei ein „political animal“, der gern im Flugzeug lebe, um an anderen Orten des Globus politisch etwas in Bewegung zu bringen. Wer glaube, eine Bibliothek oder ein Hörsaal sei der angemessene Rahmen für ihn, habe keine Ahnung.

Dennoch liebt Solana die Literatur. Zu seinen Freunden gehören die Schriftsteller Gabriel García Márquez, Timothy Garton Ash oder Jorge Semprun. Zwar sitzt er so gut wie nie zu Hause in Madrid vor dem eigenen Bücherschrank, doch reisen die neuesten Werke aus New York, Moskau oder London immer mit.

Gabriel García Márquez schreibt in einem spöttisch-liebevollen Porträt über den Freund, er habe „gründlich all jene Bücher gelesen, die man lesen sollte und viele, die man besser nicht liest“. Auch über Solanas struppiges Erscheinungsbild hat Márquez eine Theorie: „Ein Intellektueller, der nicht bärtig, sondern einfach schlecht rasiert wirkt wegen der Eile nach einer schlaflosen Nacht.“

Das Zusammenspiel aus politischem und intellektuellem Leben hat in der Familie des 59-Jährigen Tradition. Sein Großonkel mütterlicherseits, Salvador de Madariaga, war ein bekannter Schriftsteller, Außenminister vor Francos Machtübernahme und Gegner der faschistischen wie der stalinistischen Variante von Diktatur. Solanas Vater arbeitete als Chemieprofessor in Madrid und engagierte sich ebenfalls gegen Franco, was ihm politische Repressalien einbrachte.

Als Solana 1982 Kultusminister in der neuen sozialistischen Regierung von Felipe González wurde, galten seine ersten Reisen dem Ziel, den intellektuellen Riss in Spaniens jüngster Geschichte zu kitten. Er besuchte Buñuel, Miró, Guillén und Aleixandre, die unter Franco verfemt waren oder Spanien verlassen mussten.

Zehn Jahre später, mit 50, wurde Javier Solana Außenminister. Spätestens 1995, als Spanien für sechs Monate den Ratsvorsitz in der EU übernahm, entdeckten auch die weniger aufmerksamen unter seinen Kollegen, dass sie sich vom liebenswürdig-schludrigen Erscheinungsbild des Spaniers besser nicht täuschen lassen sollten. So waren im November 1995 beim Außenministertreffen auf dem Petersberg lediglich die Journalisten überrascht, als in den Gängen gemunkelt wurde, ein spanischer linker Zivilist und ehemaliger Nato-Gegner solle neuer Generalsekretär des Militärbündnisses werden.

Zu Nato-Zeiten, erinnert sich seine Mitarbeiterin Christina Gallach, reisten die wichtigsten Neuerscheinungen zusammen mit den Arbeitsmappen in einem Aktenkoffer, den der Assistent immer griffbereit haben musste. Heute, als außenpolitischer Vertreter der EU, sind die Aufgabenbereiche vielfältiger, die Aktenberge höher. Deshalb zieht der Assistent nun einen Trolley hinter sich her, den Solana „mi perrito“, mein junges Hundchen, getauft hat.

Gallach, die als Managerin im Hintergrund diese Karriere schon lange beobachtet, hat eine Theorie darüber, wie der Erfolg zustande kommt. Sie beschreibt ihren Chef als Kommunikationsgenie mit dickem Adressbuch. Die neuen Übermittlungswege Handy, SMS und E-Mail nutze er auf Reisen pausenlos, um alle mit allen ins Gespräch zu bringen.

Solana sei in Organisationsfragen ein Chaot. Er mache das aber durch viel Disziplin und ein außergewöhnliches Gedächtnis wieder wett. Sicher kommt ihm seine harmlose äußere Erscheinung – der Gegenentwurf zum kiefermahlenden Machtpolitiker – als unbewusste Mimikri zu Hilfe: In der Außenpolitik kann es von Vorteil sein, unterschätzt zu werden. „Minister für Lächeln und Umarmungen“ wurde Solana in seiner Zeit als spanischer Minister von Gegnern in der eigenen Partei genannt. Britische Journalisten, die seine Neigung beobachtet hatten, mit jedem Gesprächspartner auf Tuchfühlung zu gehen, tauften ihn „Mister Huggy“: der, der alle an sich drückt.

In kritischen Momenten kann Solana den Anschein erwecken, er sei körperlich eigentlich gar nicht anwesend. Als beim Laekener Gipfel vergangenen Dezember ein triumphierender belgischer Außenminister verkündete, die EU sende in wenigen Tagen ihre erste gemeinsame Truppe nach Afghanistan, da lächelte sich der neben ihm sitzende außenpolitische Vertreter der EU aus dem Raum fort. Ohne dem eifernden Belgier Louis Michel auch nur mit einem Wort zu widersprechen, machte Solana klar: Ich habe keine Ahnung, wovon der Mann spricht. Und eigentlich bin ich auch gar nicht da.

Als die Staats- und Regierungschefs der EU auf dem Kölner Gipfel 1999 bekannt gaben, sie hätten Javier Solana als Aushängeschild der neu initiierten Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, GASP, gewonnen, da wunderten sich viele. Warum sollte der Spanier bereit sein, den einflussreichen Posten als Nato-Generalsekretär für ein Amt zu aufzugeben, von dem zu diesem Zeitpunkt niemand wusste, ob es Bedeutung erlangen würde? Tatsächlich war völlig unklar, wer im verwirrenden Troika- oder Quartettformat bei diplomatischen Missionen künftig das Sagen haben würde: Der alle sechs Monate wechselnde Ratsvorsitzende? Der für Außenbeziehungen zuständige EU-Kommissar? Oder der dem Rat zugeordnete neue „Mister GASP“.

Zu Solanas Stärken gehört es, sich diese Frage beim Einstellungsgespräch im Kreis der EU-Staatschefs verkniffen zu haben. Fast unbemerkt, mit Disziplin, Fantasie und einem gefüllten Terminkalender hat er dafür gesorgt, dass sein Gesicht aus der EU-Außenpolitik nicht mehr wegzudenken ist. Vielleicht reizte ihn die Aussicht, den zunehmend kriegerischen Job bei der Nato gegen ein ziviles Amt zu tauschen. Schließlich hatte er wenige Monate zuvor den Einsatzbefehl für den ersten Angriffskrieg der Nato auf ein souveränes Land zu verantworten. Solanas Freund García Márquez schrieb damals, er habe „die barbarische Aufgabe übernommen, das Kosovo zu bombardieren: ein ungewöhnlicher Zivilist, der unfähig schien, einer Fliege etwas zuleide zu tun und doch ohne Zögern den riskantesten militärischen Befehl dieses Jahrhunderts gab“.

Sein Freund Gabriel García Márquez sagt, Solana wirke nicht bärtig, sondern einfach schlecht rasiert

Natürlich stellt sich umgekehrt auch die Frage, warum die EU-Chefs 1999 bereit waren, sich von einem international anerkannten Profi einen Teil ihrer Souveränität abnehmen zu lassen. Es lenkte sie wohl die Einsicht, dass die Union nur als politisch-militärisches Schwergewicht mit guten Beziehungen zu Russland und den USA außenpolitisch ernst genommen würde.

Solana brachte die Voraussetzungen dafür mit. Die USA lernte er in den 60er-Jahren als Exilant der Franco-Diktatur kennen. 1997 erreichte er nach monatelangen Gesprächen ein Sicherheitsabkommen der Nato mit Russland. Inzwischen gibt es sogar private Verbindungen dorthin. Die Reise zum EU-Russland-Gipfel in Moskau an diesem Mittwoch wird Solana mit einem Besuch bei seiner Tochter verbinden, die dort für eine spanisch-russische Firma arbeitet.

Im Oktober 2004 läuft die Amtszeit des kuschelfreudigen ersten außenpolitischen Repräsentanten der Europäischen Union aus. Einige Monate vorher wird in Spanien gewählt. Kenner der spanischen Politik trauen Solana durchaus zu, Spitzenkandidat der Sozialisten zu werden. Das hätte schon 1996 geklappt, wenn ihn die Nato nicht nach Brüssel geholt hätte. Auch nach sieben Jahren im freiwilligen Exil ist in der sozialistischen Partei niemand in Sicht, der populärer wäre.

Bislang lehnt Solana es ab, öffentlich über seine Zukunft zu spekulieren. Er ist sicher, dass es seinen Job nach der nächsten EU-Reform so nicht mehr geben wird. Die Mitglieder des Reform-Konvents sind entschlossen, der EU-Außenpolitik mehr Gewicht zu geben. Auch Rat, Kommission und Parlament wollen die verwirrende Zweigleisigkeit zwischen dem Außenkommissar und dem außenpolitischen Vertreter des Rates beenden. Nun streiten sie, ob der neue Außenminister der EU beim Rat oder bei der Kommission angesiedelt sein soll (siehe Kasten).

Bis es soweit ist, hat Solana noch eine Menge vor. Der friedenssichernde Einsatz „Amber Fox“ in Mazedonien ist seine Herzensangelegenheit. Ginge alles nach Plan, sollte der Oberbefehl im Herbst von der Nato an die EU übergehen. Dazu müssten sich aber Türken und Griechen auf einen Kompromiss einigen, unter welchen Bedingungen die EU auf Nato-Ausrüstung zurückgreifen kann. Derzeit sind die Verhandlungen festgefahren, Solanas Geduld wird auf die Probe gestellt. Denn er möchte nicht in die Geschichte eingehen als der Nato-Generalsekretär, der Serbien bombardiert, sondern als der EU-Repräsentant, der den Frieden in Exjugoslawien garantiert hat.

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