: Festgehakter Traum
Höhepunkte in einer individuellen Popgeschichte: Morgen liest der britische Journalist und Musiker Giles Smith aus „Lost in Music“
von FELIX BAYER
In den Achtzigern waren die Cleaners From Venus Stammgäste auf den Seiten der Spex, wenn auch meist nur bei den Kleinanzeigen: Ein rühriger Mailorder-Vertrieb bot Cassetten an, von denen die meisten Leser höchstens wussten, dass ein exzentrischer Engländer sie zuhause aufnahm. Komische Idee also, dass Giles Smith dachte, bei den Cleaners From Venus würde seine Chance lauern, Popstar zu werden. Genauer gesagt: „Ich wollte Stings Job haben ... Nicht, dass ich Platten machen wollte, die wie seine klängen, aber bei seinem Lebensstil wäre ich dabei.“
In seinem Buch Lost in Music beschreibt Giles Smith, wie sich dieser Traum in seinem Kopf festhakte, wie Popmusik sein Leben zu bestimmen begann. Er erzählt von dem vergeblichen Hoffen, T-Rex-Sänger Marc Bolan in der Provinzstadt Colchester über den Weg zu laufen. Er erzählt, wie all seine Freunde Nick Kershaw als kompetenten Rockcover-Gitarristen bewunderten, und sich dann wunderten, wie er zum Popstar wurde, ohne das ‚c‘ im Vornamen, aber mit topmodischer Frisur. Und er erzählt, wie er dann doch noch einen Popstar in Colchester trifft: Damon Albarn von Blur – bei einer Weihnachtsfeier von Freunden der Familie, und seine Mutter singt mit Damon im Duett.
Es sind winzige Details der allgemeinen Popgeschichte, aber es sind Höhepunkte in einer individuellen Popgeschichte – und die erzählt Smith mit selbstironischem Witz und einem freundlichen Grundton. Dabei hätte er schon verbittert sein können: Die eigene Starkarriere führte zwar zu zwei Alben mit den Cleaners From Venus bei der deutschen RCA, aber nicht zu Ruhm und Reichtum. Dass Cleaners-Songwriter Martin Newell die große Deutschland-Tour gar nicht erst mitmachte, weil er sich nicht dem Druck des Rock-Geschäfts aussetzen wollte, wird nicht geholfen haben.
„Es ist irgendwie auch eine deutsche Geschichte“, erzählt Smith am Telefon, „deshalb bin ich froh, dass das Buch hier erschienen ist.“ Doch noch erschienen ist, muss man sagen, denn in England kam es schon vor sieben Jahren heraus. Natürlich ermutigte ihn damals der Erfolg von Nick Hornbys Fever Pitch, auch über eine persönliche Obsession zu schreiben – doch die Behauptung, Lost In Music könne bei Nicht-Eingeweihten ähnliches Verständnis für Pop-Nerds wecken, wie es Hornby für Fußballfans gelang, weist Smith als unbescheiden zurück. Ganz so brilliant ist Lost In Music vielleicht auch wirklich nicht, obwohl das auch an der manchmal zu wörtlichen Übersetzung liegen mag.
Heute schreibt Giles Smith hauptsächlich für den Daily Telegraph über Sport, immer bewusst aus einer TV-Zuschauer-Perspektive. Für den Guardian testet er wöchentlich ein Auto, sehr zur Freude seiner Kinder, die erzählen, Papi habe jetzt einen neuen Porsche – „schade nur, dass er nach drei Tagen wieder weg ist.“ Über Popmusik schreibt er kaum noch, seit er bemerkte, er müsse sich zu Meinungen zwingen. Doch interessiert ist er immer noch – wenn er auch mit amüsiertem Schrecken feststellt, inzwischen auch Jazz zu mögen: „Das hielt ich früher für ein sicheres Zeichen des mittleren Alters. Fehlt nur noch, dass ich mit dem Golfspielen anfange.“
Irgendwie geht bei einem wahren Enthusiasten das Pop-Leben eben doch immer weiter. So hat Giles Smith vor zwei Jahren doch mal wieder über einen Popstar geschrieben: Sting hatte zur Jamsession geladen. „Ich habe mein Keyboard von Minute zu Minute leiser gestellt, weil ich mir so inkompetent vorkam“, erinnert sich Smith. Die Schlusspointe seines Artikels war eine andere: „Du wolltest vor deinem Keyboarder sicher nicht drüber reden, Sting, aber wenn du mich brauchst: Du hast ja meine Nummer ...“
Lesung: Mittwoch, 21 Uhr, Schilleroper. Giles Smith: Lost In Music. Heyne 2002, 285 S., 12 Euro
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