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… und raus bist du!taz-Debatte „Berlin nach Pisa: Wo bleibt die Chancengleichheit?“ (Teil 8)

Schulklassen nach Familiensprachen aufteilen. Von JÖRG RAMSEGER

Nicht erst seit den Ergebnissen der Pisa-Studie ist klar: Von Chancengleichheit kann im deutschen Bildungssystem kaum die Rede sein. Ganz im Gegenteil: Kinder aus armen und eingewanderten Familien haben es schwer. In Berlin besuchen sie vor allem Kitas und Grundschulen in den Innenstadtbezirken. Was tun mit diesen Bildungseinrichtungen? Wie können sie allen Kindern gleiche Chancen eröffnen? Diesen Fragen widmet sich immer dienstags eine Debattenserie der taz. Vergangene Woche forderte der Vorsitzende des Türkischen Elternvereins, Ertekin Özcan, die Einführung der Kitapflicht.

Fast die Hälfte der Jugendlichen aus Migrantenfamilien überschreitet im Lesen nicht die elementare Kompetenzstufe I, das zeigt die Pisa-Studie. Im Klartext heißt das: Diese Jugendlichen können nicht ausreichend Deutsch, um in der Schule zu bestehen, obwohl über 70 Prozent von ihnen die deutsche Schule vollständig durchlaufen haben. Bei der Integration von Migrantenkindern hat das deutsche Bildungssystem am schlimmsten versagt. Auch in Berlin.

Bislang prägen vielsprachige Klassen den Berliner Schulalltag – und drei Prämissen, was den Spracherwerb in diesen Klassen angeht. Erstens: Deutsch lernt man durch Deutschunterricht. Zweitens: Muttersprachlicher Unterricht ist schädlich für das Erlernen der deutschen Sprache – oder bestenfalls ein Luxus, für den das Geld fehlt. Drittens: In multilingualen Klassen lernen Kinder interkulturelle Verständigung und Deutsch zugleich. Doch alle drei Prämissen sind, wie Pisa zeigt, erwiesenermaßen falsch. Zumindest lernen so nicht alle Kinder Deutsch auf einem für den Schulerfolg erforderlichen Niveau. Es ist eine Illusion, zu hoffen, dass ein polnisches Kind von einem türkischen Kind die deutsche Sprache erlernen wird, wenn sie für beide eine Fremdsprache ist.

Wer die wissenschaftliche Forschung zur Zweisprachigkeit verfolgt, ist über das schlechte Abschneiden der Migrantenkinder in unseren Schulen nicht verwundert. Die Spracherwerbsforschung zeigt eindeutig: Jeglicher Fremdsprachenerwerb erfolgt in der Auseinandersetzung mit der Herkunftssprache. Das bedeutet: Die Förderung der Erstsprache erleichtert und unterstützt den Erwerb der Zweitsprache. Die Ignorierung oder gar Unterdrückung der Erstsprache erschwert den Erwerb der Zweitsprache. Es ist Zeit, dass die Bildungspolitik Konsequenzen aus diesen – keineswegs neuen – Erkenntnissen zieht. Die neue Prämisse lautet: volle Zweisprachigkeit der Migrantenkinder in der Grundschule anstreben, um das Gelingen der Alphabetisierung und den Erwerb der deutschen Sprache auf angemessenem Niveau überhaupt erst möglich zu machen.

Dafür ist freilich ein grundsätzliches Umdenken nötig – und ein umfassendes Maßnahmenpaket. Große Probleme erfordern große Anstrengungen. Kernstück dieses Pakets wäre die systematische zweisprachige Erziehung von der Kita bis zum Ende der Pflichtschulzeit, besonders aber in den ersten drei Jahren von der Vorklasse bis zur Klasse 2. Dazu müssten allerdings die multilingualen Klassen aufgegeben und die Kinder schon in den Vorklassen nach ihren Familiensprachen aufgeteilt werden. Das heißt: Alle Kinder, deren Muttersprache Türkisch – oder eben Arabisch, Serbokroatisch oder Polnisch – ist, sollten jeweils in eine Klasse gehen. Weil die einzelnen Schulen diese Aufteilung nicht leisten können, müsste es für die kleineren Sprachgruppen einen Schüleraustausch zwischen benachbarten Schulen geben, sodass es an einer Schule zum Beispiel eine deutsch-polnische Klasse, an der Nachbarschule dafür eine deutsch-serbokroatische Klasse gibt usw. Deutsch-türkische Klassen wird es an jeder Innenstadtschule geben. Und wo es – wie heute schon in vielen Brennpunktschulen – nicht mehr genügend deutsche Kinder gibt, werden wir notgedrungen auch reine Ausländerklassen in Kauf nehmen müssen. Aber dann bitte mit einer angemessenen Spracherwerbsdidaktik!

Die Kinder werden von deutschen LehrerInnen und von nichtdeutschen MuttersprachlerInnen in beiden Sprachen unterrichtet. Alphabetisierung und Fremdsprachenerwerb werden dabei getrennt. Die Kinder lernen zunächst in ihrer Familiensprache lesen und schreiben und erhalten daneben Deutschunterricht nach einer ausgewiesenen Fremdsprachendidaktik. Beide Sprachen werden aber von Anfang an systematisch gefördert. Nach dem Vorbild der Europaschulen findet in den Sachfächern bis zum Ende der Pflichtschulzeit Unterricht auch in den Herkunftssprachen statt.

Derzeit gibt es in Berlin nicht genügend LehrerInnen nichtdeutscher Herkunftssprache. Sie müssten halt in den Herkunftsländern angeworben und sofort eingestellt werden. Die bevorstehende Pensionierungswelle in den Schulen macht das möglich. Die vorhandenen Stellen für Deutsch als Zweitsprache könnten teilweise dafür umgewidmet werden. Zugleich sollten hierzulande AbiturientInnen mit den benötigten Muttersprachen aktiv für das Lehramtstudium angeworben werden. Außerdem könnte über eine simple Ergänzung der Lehrerprüfungsordnung die Beherrschung einer der Hauptmigrantensprachen für alle LehramtsanwärterInnen obligatorisch werden. Von Stewardessen und Hotelportiers verlangen wir ja auch Mehrsprachigkeit, warum eigentlich nicht von unseren Lehrern?

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