: jenni zylka über Sex & Lügen Schlüpferstürmer zur Sommerzeit
Öffentlichkeit des Privaten: Über Radlerhosen, bestickte Slipränder und das Machtgefüge zwischen den Beinen
Ach, Sommer. Ach, komische neue Weiße-Schokolade-Sorten, die man im Kühlschrank aufbewahren muss. Ach, nachts auf den Straßen Bier trinken. Ach, Rock ohne Strumpfhosen tragen.
Moment, habe ich eben „Rock ohne Strumpfhosen“ geschrieben? Da gibt es doch dieses merkwürdige Sommerphänomen, mir ist es in diesem Jahr schon dreimal passiert: Ich fahre auf meinem alten Herrenfahrrad die Straße lang, ich hänge sehr an diesem Rad, weil man es auch mit einer Luftmaschenkette anschließen kann, und nicht mal halb tote Junkies versuchen es zu klauen, sondern gucken eher mitleidig, ich fahre also im knielangen Rock die Straße entlang, da plötzlich bücken sich zwei junge Männer, die mir rechts auf dem Bürgersteig entgegenkommen, und einer sagt triumphierend: „Ich hab deine Unterhose gesehen!“
Menschmenschmensch, denke ich, da hat also angeblich jetzt einer meine Unterhose gesehen. Wie kann das sein? Kann das sein? Zuerst einmal möchte ich hier deutlich die Sehgeschwindigkeiten des Jungmanns bezweifeln. Die jüngere Generation mag vielleicht in Videos submentale, minikurz eingeblendete Mao-Köpfe oder „Kill!“-Aufrufe erkennen, das haben wissenschaftliche Tests ergeben. Und wir lahmen Alten brauchen Bilder von mindestens drei Sekunden, um sie zu erfassen. Aber trotzdem, ich glaube nicht, dass sich das auf im Dunkeln zwischen den Schenkeln versteckte Unterhosen bezieht, die in null Komma nichts an einem vorbeiradeln. Zumal man ja zur möglichen Schlüpfer-Erkennung auch noch den Fall des Zwischentritts auf dem Fahrrad haben muss: Wenn ich zum Beispiel gerade schlicht rolle, verdeckt der Rock alles bis zu den Knien.
Abgesehen davon also, dass ich glaube, der Jungmann übertreibt – er hat, im besten bzw. für ihn deutlichsten Falle, höchstens einen Blick zwischen meine Beine erhascht, der so diffus ausgefallen sein dürfte, dass ich einfach sagen sollte: Du lügst. Ich trage keine. Doch natürlich habe ich keine Lust, mit diesen Kerlen auch noch zu reden. Es muss also einen anderen Grund dafür geben, dass Männern dieser völlig unbefriedigende Blick unter den Rock so wichtig ist (und dass Mädchen seit Jahrzehnten auf Schul- und anderen Höfen mit „Deckel hoch, der Kaffee kocht!“ geärgert werden). Wäre wirklich allein die Vorstellung der Kick, die sekundären Geschlechtsmerkmale und in der Weiterführung des Gedankens auch der Verkehr seien durch den Blick auf ein kleines Höschen leichter zu erreichen, Männer müssten doch in öffentlichen Badeanstalten komplett verrückt werden. Schließlich rennen dort von früh bis spät Damen in schlüpferähnlichen Bikinihöschen auf und ab. Aber dort sagt nie jemand „Ich hab deine Unterhose gesehen!“
Nein, der Triumph hat etwas mit dem Anschein zu tun, über jemandes Dessous Bescheid zu wissen sei eine eindeutig definierte Privatinformation. Anders als den Bikini hat die Frau ihre Unterwäsche eigentlich nicht für die Öffentlichkeit angezogen, sondern für sich oder einen oder ein paar wenige andere Menschen. Und wenn nun ein Fremder zu sehen bekommen meint, was nicht für ihn bestimmt war, dann verschiebt sich das Machtgefüge: Er hat plötzlich Macht über mich, weil er etwas von mir weiß, was ich ihm nicht sagen wollte. Er hat sich quasi verbotenerweise, im konkreten Fall allerdings durch die sehr mickrige passive Gewaltform des Mal-kurz-Hinschauens und dann Behauptens, man habe es gesehen, Zugang zu meiner Privatsphäre verschafft. Er hat mir quasi etwas weggeguckt. Hilfe!
Die Mode, seine Slips am Bund aus der Hose herauslugen zu lassen, kann genau darum nicht als ebensolche Machtverschiebung gelesen oder benutzt werden. Zwar schauen Heteromänner gern auf die oberen Ränder von Tangas und Heterofrauen bzw. schwule Männer genauso gern auf die mit irritierenden Designernamen bestickten Boxershortsränder über dem Jeansbund (könnten die da nicht ihre eigenen Namen draufsticken? Das wäre doch praktisch), aber in diesen Fällen ist die Zeigelust des Schlüpferträgers/der -trägerin (und damit die Schaulust des/der Betrachtenden) gewollt. Und wer etwas will, ist natürlich nicht der/die Unterlegene, sondern der/die Fordernde.
Wie soll man also diesem Sommerrockphänomen begegnen, wie sich nicht Unterhosen enteignen lassen, wie weiterhin Fahrrad fahren und Rock tragen und trotzdem die Macht komplett bei sich behalten? Ich schlage vor, zum Radeln wadenlange, rhabarberfarbene Skiunterhosen anzuziehen, die in jedem Fall unten herausgucken. Oder, noch besser, die Pest der Stretch verarbeitenden Industrie: Radlerhosen. Den Mann, der darüber anzüglich wird, den möchte ich erst mal sehen!
Fragen zu Sex und Lügen?kolumne@taz.de
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