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Beschleunigte Demokratisierung

Durch die Kooperation mit der Nato gibt Russland seine geopolitischen Ziele auf, ordnet sich den USA unter und integriert sich in die Staatengemeinschaft

Aus Bedrohungsangst verschob Russland stets seine Grenzen. Das ändert sich nun

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Die „historischen Ereignisse“ überschlagen sich: Nach dem dreitägigen Gipfeltreffen zwischen George W. Bush und Wladimir Putin in Russland unterzeichnen die Nato und Moskau heute in Rom ein Dokument, das eine neue Ära der Kooperation zwischen dem westlichen Verteidigungsbündnis und der ehemaligen östlichen Vormacht einleiten soll. Ebenfalls in dieser Woche treffen sich die Vertreter der EU und Russlands zu einem zweitägigen Gipfel in Moskau.

Noch erschöpft sich die Gemeinsamkeit zwischen Russland und dem Westen freilich darin, dass beide Seiten über ihre langfristigen Beziehungen weder eine klare Vorstellung noch eine strategische Linie vorzuweisen haben. Mit Ausnahme vielleicht einer visionären Hoffnung Putins, der sich seit dem 11. September dem Westen als verlässlichler Partner anbietet und dabei die Gegenwehr maßgeblicher Eliten im eigenen Land in Kauf nimmt.

Beim US-Russland-Gipfel ist Putin über den russischen Schatten gesprungen. Trotz aller Anstrengungen, mit den Amerikanern von gleich zu gleich zu reden, hat der Gipfel deutlich gemacht: Moskau zieht sich aus dem Wettkampf um das strategische nukleare Gleichgewicht zurück und erkennt die Überlegenheit der USA endgültig an.

Die Konsequenzen hieraus sind für Russland alles andere als trivial. Langfristig bedeutet dieser Rückzug auch die Einschränkung geopolitischer Ansprüche. Nach dem Rückzug aus Zentralasien, dem Balkan und dem Mittleren Osten wird Moskau mit der Nato-Osterweiterung Ende des Jahres auch seine Ansprüche auf das Baltikum endgültig begraben. Damit verändert Russland seinen bisherigen Wachstumsmechanismus. Über Jahrhunderte vollzog sich der Entwicklungsprozess in Abhängigkeit von der Sicherung der Staatlichkeit und ihrer Grenzen. Aus Angst vor Bedrohung schob Russland seine Grenzen immer weiter nach vorne, während die gesellschaftliche Entwicklung ein Nebenprodukt darstellte.

Bis heute hat Russland sich deshalb nicht von den Zügen einer militärisch-kriegerischen Zivilisation befreien können. Die Versuche des letzten Jahrzehnts, mit Hilfe Chinas und Indiens eine multipolare Weltordnung zu etablieren, gehören inzwischen ebenfalls der Vergangenheit an. Elf Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Kriegs hat sich der russische Präsident mit der Rolle einer Regionalmacht abgefunden – aber einer wichtigen, die Anspruch erhebt, von den USA ernster als die Europäer genommen zu werden.

Die Integration Russlands in die internationale Staatengemeinschaft und ihre Institutionen wie G 8, Nato, WTO dürfte seine Demokratisierung beschleunigen. Wandel durch Annäherung sollte die Devise sein.

Andererseits hat es den Anschein, dass westliche Kritik diesen Wandel nicht unbedingt fördern, sondern den unbequemen Nachbarn auf Distanz halten soll. Gelegentlich kann so auch unliebsame wirtschaftliche Konkurrenz – wie im russisch-amerikanischen Stahlkrieg – unterbunden werden.

Misstrauen beherrscht auf allen Seiten und Ebenen die gegenseitigen Beziehungen. Die Einrichtung des neuen Nato-Russland-Rates hat sich inzwischen weit vom ursprünglichen Vorschlag Tony Blairs entfernt. Im Westen überwiegen jetzt die Überlegungen, wie sich Mehrfachsicherungen einbauen lassen, um am Ende doch wieder allein entscheiden zu können. So kam man zunächst überein, grundlegende Fragen unter den vollwertigen Natomitgliedern nicht mehr – wie bisher üblich – vorab ohne Moskau zu klären und es dann vor vollendete Tatsachen zu stellen. Das wird nun auch nicht mehr geschehen. Gleichwohl kann jedes Mitglied bei beliebigen Anliegen nun ein Veto einlegen, um ohne Russland zu beraten. Ob die Aufnahmekandidaten, die baltischen Staaten, davon häufig Gebrauch machen werden …? Bei den europäischen Widerständen, die sich gegen Russlands Nato-Anbindung regen, erinnern Beobachter in Russland an Frankreichs Bedenken, Deutschland vor 50 Jahren in die Nato aufzunehmen.

Die USA haben sich noch nicht entschieden, ob sie die Betreuung des russischen Kolosses am liebsten Europa überlassen möchten. Das mag sich schlagartig ändern, je nachdem welche Ziele Washington im Mittleren Osten ins Visier nimmt. Russlands Energiereserven sollen das Weiße Haus angeblich nicht kalt lassen. Absprachen auf dem Gipfel, einen Energiedialog zu eröffnen, halten einige Beobachter in Moskau daher für sein eigentliches strategisches Ergebnis.

Und wo bleibt die EU? Mit rund 50 Prozent Anteil am russischen Außenhandel ist Europa Moskaus wichtigster Handelspartner. Putin erhob Brüssel zwar zum strategischen Partner, die Beamtenschaft betrachtet es indes als unter ihrer Würde, sich mit dem schwächelnden Kontinent ernsthaft zu befassen. Weder verfügt er über eine Außen- noch eine Sicherheitspolitik. Außenminister Igor Iwanow verfiel denn auch in Plattitüden, als er vor dem EU-Treffen die zu erwartende Ernte anpreisen sollte. Rund ein halbes Jahr vor der Einführung des Schengener Reglements im Baltikum haben sich EU und Mokau immer noch nicht darauf geeinigt, wie der Zugang zu Kaliningrad geregelt werden könnte. Auf Moskaus Vorschlag, den Verkehr nach dem Vorbild des DDR-Transitverkehrs von und nach Westberlin zu regeln, beantworteten die Europäer mit einem Njet. Die Europäer haben schienbar keine Kapazitäten für den Nachbarn mehr frei, da sie mit sich, untereinander und den USA schon ausreichend beschäftigt sind.

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