: Da lachen ja die Hühner
Warum wurden die Verbraucher erst so spät über die Giftfunde informiert? „Wir waren dazu nicht verpflichtet“, sagen Behörden und Betriebe unisono
aus Berlin und Hannover NICK REIMER und JÜRGEN VOGES
Die Verbraucher: „Krasses Fehlverhalten, das man als skandalös bezeichnen muss“, warf der Bundesverband der Verbraucherzentralen gestern dem Anbauverband „Naturland“ vor. Fraglich sei auch, warum der Babynahrungshersteller Hipp nicht die staatlichen Lebensmittelbehörden informiert habe, nachdem das hauseigene Labor die Nitrofenrückstände entdeckt hatte. „Dazu wäre Hipp genauso verpflichtet gewesen wie Naturland oder die Zwischenbetriebe“, so ein Verbandssprecher.
Der Babynahrungshersteller: „Wir sind nicht meldepflichtig“, sagt Hipp-Sprecher Reiner Tafferner. „Im Gegenteil: Unsere Vertragsbeziehung mit dem Lieferanten erlegt uns Stillschweigen auf.“ Die Firma untersuche „im wohl aufwendigsten Analyselabor der Lebensmittelbranche“ alle Rohstoffe vor der Verarbeitung auf etwa 800 Rohstoffe – sogar auf Nitrofen, obwohl das Pflanzenschutzmittel in der Bundesrepublik seit 1981 verboten ist. „Selbstverständlich haben wir die Rohware gesperrt und an den Lieferanten zurückgeschickt“, so Tafferner.
Die Ökoverbände: „Wir haben keinerlei Meldeverpflichtung“, sagte „Naturland“-Geschäftsführer Gerald Herrmann gestern der taz. Trotzdem habe Naturland sich nach dem zweiten Fall an Bundesverbraucherministerin Künast gewandt. Herrmann: „Dieser zweite Fall datiert von Anfang Mai. Am 21. Mai hatten wir die Analyseergebnise auf dem Tisch, am 23. haben wir Künast informiert.“
Die Geschäftsführerin des viertgrößten deutschen Biolandbauverbandes Gäa sieht dagegen „schwere strategische Fehler in der Informationspolitik von Naturland“. Das bekomme nun die ganze Branche zu spüren.
Die Biobauern: Der niedersächsische Geflügelproduzent Wiesengold aus Twistringen rief gestern freiwillig Eier- und Fleischprodukte zurück. Allein im Regierungsbezirk Weser-Ems verhängten die Behörden über 27 Erzeuger eine „vorläufige Handelssperre“. Das niedersächsische Landwirtschaftsministerium überprüfte gestern 120 Biobetriebe, die mit dem verseuchten Futtermittel beliefert wurden. Noch vorhandene Reste des Mischfutters oder Tiere, die damit gefüttert worden seien, werden nach Angaben eines Ministeriumssprechers beschlagnahmt.
Der Futterhändler: Die GS agri Handelsgenossenschaft wollte sich zu dem Skandal gestern nur über ihren Hamburger Anwalt Carsten Bittner äußern. Bittner wies jede Schuld der Firma an dem Lebensmittelskandal zurück. „Wir fühlen uns selbst als Betrogene“, sagte er. Das mit Nitrofen belastet Futter sei ausschließlich aus „zertifizierter Ware“ produziert worden. Zu dem Vorwurf, GS agri habe die zuständigen Aufsichtsbehörden in Niedersachsen nicht über die Kontamination seiner Produkte informiert, wollte sich Bittner nicht äußern. Schließlich sei dieser Punkt Gegenstand einer Stranfanzeige, die der niedersächsische Agrarminister gestellt habe.
Der Futterhersteller: Die ins Visier geratene Genossenschaft Brandenburger Futtermittel AGV aus dem uckermärkischen Stegelitz-Flieth wurde gestern vom Potsdamer Landwirtschaftsministerium entlastet. Kontrollen des Betriebs am Samstag hätten ergeben, „dass dort noch nicht einmal eine Spritze vorhanden ist, mit der man Herbizide aufs Feld bringen könnte“, so Ministeriumssprecher Jens-Uwe Schade. Laut eigener Buchhaltung arbeitet der Hof seit 1995 nicht mehr mit derartigen Giften. Der Sprecher verwies auf Restbestände des in der EU verbotenen Nitrofen in Osteuropa und Deutschland. „Der wahrscheinlichste Fall ist, dass sich irgendwo in einem Lager Restbestände mit Weizen vermischt haben“, sagte er.
Die Behörden: Staatliche Stellen haben bereits im März Rückstände des verbotenen Unkrautvernichtungsmittels in einem Ökoprodukt festgestellt, ohne die Öffentlichkeit zu informieren. Die dem Bundesverbraucherministerium unterstellte Bundesanstalt für Fleischforschung in Kulmbach habe den Stoff schon im Januar in Proben aus einem niedersächsischen Putenmastbetrieb gefunden, sagte Behördenleiter Karl Honikel. Analysen hätten das Zehnfache des zulässigen Grenzwertes an Nitrofen ergeben. Das Verbraucherministerium sei nicht informiert worden, so Honikel, da man von einem „lokalen Fall“ ausgegangen sei.
Ein Ministeriumssprecher in Berlin sagte auf Anfrage, die Behörde sei rechtlich nicht verpflichtet gewesen, die „brisante Information“ weiterzuleiten. „Es wäre aber zu erwarten gewesen.“ Über Konsequenzen sei noch nicht entschieden. Nitrofen gilt als Krebs erregend.
Weitere Informationen: www.naturland.de, www.gs-agri.dewww.hipp.de
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