„Was wir gefordert haben, ist jetzt Mainstream“

Zum ersten Mal in 104 Jahren befasst sich der Deutsche Ärztetag mit den Kolleginnen in Weiß. Es wird auch Zeit, meint die Präsidentin aller Ärztinnen

taz: Frau Bühren, am Donnerstag wird zum ersten Mal seit 104 Jahren auf einem Deutschen Ärztetag das Thema Ärztinnen behandelt werden. Warum ist das nötig?

Astrid Bühren: Ich werde dem Ärztetag neue Zahlen vorlegen, die zeigen, dass kaum ein Berufsstand derartig wenige Frauen in Entscheidungspositionen vorzuweisen hat wie wir: Die wichtigste Zahl ist dabei, dass nur 2,8 Prozent der klinischen Lehrstühle an den medizinischen Fakultäten weiblich besetzt sind.

Warum ist das wichtig?

Die Zahl gibt Aufschluss, welches Bild Studentinnen von ihrem Berufsstand bekommen. In Bonn etwa, wo es nur eine einzige Professorin gibt, haben Studentinnen keine Vorbilder, keine Mentorinnen. Das ist eine Form von Diskriminierung.

Von den Ärzten werden weit gröbere Diskriminierungen berichtet: „Sie bekommen in meiner Klinik keine Stelle, bevor Sie mir Ihre Gebärmutter nicht im Einmachglas auf den Tisch gestellt haben“, ist ein Satz, der gerne zitiert wird, wenn es um männliche Ärzteherrschaft geht.

Die Formen der Benachteiligung von Ärztinnen sind inzwischen subtiler geworden. „Sie kommen mit den Patienten so gut aus, machen Sie doch bitte die psychosomatische Sprechstunde“, sagt dann der Oberarzt, dabei hätte die junge Ärztin vielleicht lieber operiert, um hier Operationserfahrung zu sammeln. Eine Ärztin mit vier Kindern wird eine Stelle vielleicht nicht bekommen, weil man denkt, sie sei nicht immer einsatzbereit. Von einem Arzt mit vier Kindern wird dagegen angenommen, dass er besonders gerne Nachtdienste übernimmt.

Klingt nach dem schlechten, alten Job-Familien-Unvereinbarkeitsproblem. Warum ist das bei Ärzten so besonders ausgeprägt?

Patienten verlangen Betreuung 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag. Ärztin und Arzt ist ein Beruf, der von der totalen Beanspruchung und von der totalen Bereitschaft ausgeht. Dies, in Kombination mit einem konservativen Rollenmodell, lässt es unmöglich scheinen, dass Job und Kinder vereinbar wären.

Was fordern Sie also?

Es muss ein Umdenken stattfinden, ein Paradigmenwechsel. 20.000 Ärztinnen bis 59 Jahre sind derzeit nicht berufstätig. Wir müssen lernen zu sagen: Was können wir euch bieten, damit ihr euch daran beteiligt, die Patientenversorgung aufrechtzuerhalten? Dazu ist eine Veränderung der Überzeugungen nötig. Die Familienarbeit, die Frauen leisten, ist eine Qualifikation, die bei einem Beruf mit der Zielgruppe „Patienten“ unglaublich wichtig ist. Das lebensweltliche Wissen von Ärztinnen ist eine wichtige Ressource.

Aber damit setzen Sie die Frauen ja schon wieder auf die weiche und gefühlige Schiene.

Nein, denn gleichzeitig verlangen wir natürlich, dass Frauen in Führungspositionen gelangen.

Wollen Sie eine Quote?

Nein, keine Quote. Aber wir fordern dringend die paritätische Besetzung aller Gremien in der Berufspolitik und aller Leitungspositionen in Klinik und Wissenschaft. Und wir müssen die Vernetzung der Frauen untereinander fördern, damit sie wissen, welche kompetente Frau auf welchen Posten zu wählen wäre. Wir müssen die Rahmenbedingungen schaffen, unter denen Beruf und Familie vereinbar werden, mit Kinderhorten und Kindergärten an den Kliniken.

Das ist erstens klassische Frauenpolitik und zweitens das, was auch die Vertretung der Klinikärzte, der Marburger Bund, will.

Ebenso wie der Marburger Bund fordere ich geregelte, berechenbare Arbeitszeiten in den Krankenhäusern. Im Übrigen sind diese aktuellen Forderungen Früchte unserer eigenen Politik. Was wir Ärztinnen schon immer gefordert haben, wird jetzt Zeitgeist, Mainstream.

INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN