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König des Scherbenhaufens

Ungeachtet aller Korruptionsvorwürfe wird der Schweizer Joseph Blatter mit größerer Mehrheit als erwartet erneut zum Präsidenten des zerstrittenen Welt-Fußballverbandes Fifa gewählt

aus Seoul MARTIN HÄGELE

Jean-Claude Darmon erreichte die bittere Nachricht als einer der Ersten am hinteren Ende des Saales. Ein Zucken lief über sein Gesicht, der dunkle Teint des Sportrechtemaklers wurde um eine Nuance heller. Dem smarten Boss des europäischen Fernsehkonglomerats Sportfive war gerade der Deal seines Lebens geplatzt. Darmon vermarktet bereits den Afrika-Cup, die afrikanische Champions League, und mit einem Kontrakt über die Fußball-WM 2010 auf dem schwarzen Kontinent hätte sich der Agent zur Ruhe setzen können.

Doch der Mann, auf den er gesetzt, den er als goldenen Schlüssel ins Milliarden-Business betrachtet und gepflegt und nebst einem Büro in Paris ein komplettes PR-Bataillon für den Wahlkampf gestellt hatte, dieser Issa Hayatou aus Kamerun hatte sich gerade auf einen kleinen Haufen Zettel reduziert. Der Stapel daneben, die Stimmpapiere mit dem Namen Joseph S. Blatter, sei mindestens doppelt so hoch. So meldeten die Spione aus dem Raum, in dem die Stimmen zur Wahl des Fifa-Präsidenten ausgezählt wurden.

Augenblicke später begannen auch die großen dunkelhäutigen Männer in den schwarzen Anzügen mit den dicken Goldketten und den Riesenklunkern an den Fingern in ihren Sitzen zu versinken. Immer schmaler wurden die breiten Schultern der furchteinflößenden Gestalten, die aus dem Block der offiziellen Beobachter immer wieder in den Kongress hineingepöbelt hatten, ganz so als befänden sie sich in der wüstesten Stehkurve eines Fußballstadions. Dabei hatte sich ihr Idol schon in den Tagen vor der Wahl als Leichtgewicht enttarnt. Obendrein als Strohmann der Europäer. Ja, was soll man von einem Kandidaten halten, der von einer Sportagentur bezahlt und vom Kontinentalverband Uefa gefüttert wurde, in den drei Tagen seiner Wahlkür nicht einmal als Mitläufer auffiel, seine Präsentation vom Blatt haspelte und nach einer debakelartigen Niederlage noch seinen Dank in die Mikrofone sprach für die 56 Stimmen.

Einen solchen Verlierer konnte Sepp Blatter leicht in den Arm nehmen – von den Hayatous dieser Welt droht dem Schweizer nie mehr Gefahr. Aber weil sein Herausforderer nur eine Marionette war, gehört es sich, nach der Verfassung von dessen Hintermännern zu fragen. Jener Opposition, die sich weit mehr als der 55-jährige IOC-Diplomat und ehemalige Turnlehrer aus Kamerun geschlagen fühlen musste von den 139 Blatter-Wählern. Die eigentlichen Verlierer residieren in der europäischen Verbandszentrale am Genfer See oder spielen wie der koreanischen Sportpolitiker und Unternehmer (Hyundai) Dr. Chung gerade Gastgeber der ersten Fußball-WM in Asien.

Dabei gehört der alte und neue Statthalter auf dem Zürcher Sonnenberg, dem Sitz der Fifa, mitnichten zu den internationalen Sportführern, zu denen man aufblickt. Der einstige Generalsekretär hat in seiner ersten Amtsperiode die Fußballwelt nicht gut regiert, allerdings drei große Krisen gemeistert: als der Marketingpartner ISL Pleite ging, nach dem 11. September dem Versicherungspartner das WM-Risiko zu groß war und Leo Kirch, Besitzer der Fernsehrechte für die Turniere 2002 und 2006, vors Insolvenzgericht musste, hatte Blatter jedes Mal eine vernünftige Lösung parat.

Und zumindest am letzten der zwei Kongresstage in Seoul hatte Blatter gelernt, dass sich auch mit demokratischen Mitteln etwas erreichen lässt. Versuchte er zuvor, die Kritiker mundtot zu machen, indem er die Rednerliste in seinem Sinne manipulierte oder Vertretern des gegnerischen Lagers das Wort entzog, so ließ er am Wahltag selbst Michel Zen-Ruffinen zu Wort kommen, obwohl gerade der die feindliche Fraktion im Wahlkampf mit Munition beliefert hatte. Richtig an den Karren fahren konnte der Generalsekretär seinem alten Mentor freilich nicht.

Im neuen Kabinett des Fifa-Präsidenten ist Zen-Ruffinen nicht länger vorstellbar. Denn in der neu formierten Exekutive haben sich durch die Berufung des DFB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder, Frankreichs Fußballidol Michel Platini und die Beförderung des Spaniers Villar Llona zum Vizepräsidenten die Kräfteverhältnisse eindeutig verschoben. Blatter besitzt wieder die Macht im Haus. Aus der 11:12-Minderheit, die ihn bis vor einigen Wochen immer wieder ausgehebelt hat, ist nun ein 15:9 für den Präsidenten geworden.

Die Grabenkämpfe und die Schlammschlachten der jüngsten Vergangenheit haben viele Funktionäre angewidert. Und so rief der Präsident gleich im ersten Akt nach der Wiederwahl pathetisch zur Versöhnung und Wiedervereinigung der Fifa-Familie auf, indem er über 600 Fußballfreunde aus 202 Nationen bat, einander an den Händen zu fassen. Nur noch ein Hallelujah hat da als Schlussakkord über der Menschenkette gefehlt.

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