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Kommst du mit aus dem Alltag?

Es liegt ein Grauschleier über der Stadt, die Fußball-WM beginnt, und die Linken sind uneins. Die einen beklagen, dass das Volk nun wieder vier Wochen lang die eigentlichen Probleme verdrängt. Die anderen gucken Fußball ohne Rassismus und Sexismus

von JÖRG SUNDERMEIER

Graue Stadt. Graues Spreewasser, graues Havelwasser. Graue Wände im Osten, graue im Westen. Die Häuser klagen ihre Bevölkerung an: die grauen Menschen. Sie schleichen durch ihr Berlin. In den Vororten Leute, die arbeitslos sind. In Mitte Leute, denen ihr puppenartiges Lächeln zunehmend schwer fällt, denn ihre Start-up-Buden werden längst vom Insolvenzverwalter geleitet. Studentinnen und Studenten leben von drei Jobs. Geld ist knapp. Graue Stadt.

Durch diese Masse von Verlierenden, Verlierern und Verlorenen schreiten die letzten verdammt revolutionären Linken und lächeln selbstgewiss. Der Aufstand scheint nahe, die Verhältnisse werden revolutionäre, denn lange lässt sich die Crowd diesen Zustand nicht gefallen.

Es sind dieselben Linken, die sich nun über die Leute beschweren, die die Fußball-WM gucken wollen, über die Leute, die, weil sie kein Premiere haben, sich freuen, dass die B. Z. und der Tagesspiegel schon nachmittags mit Sondernummern aufwarten. Es sind diese Linken, die es nicht fassen können, dass die große Masse zwar bei letzten Demos ausblieb, nun aber auf den Bürgersteigen steht und den Spielverlauf in eigens aufgestellten Fernsehern verfolgt.

Es sind dieselben Linken, die es scheiße finden, dass die Leute ihre „eigentlichen“ Probleme vergessen, die da nur noch ganz abstrakt „Unrecht“ und „Krieg“ heißen, und stattdessen darüber plaudern, was in Korea und in Japan stattfindet, wer welchen Ball zu treten hätte und was der Torwartfehler war.

Diese Linke hat selbstverständlich Unrecht. Sie wirft dem Volk, das sie selbst nur allzu gern „Volk“ nennt, vor, dass es sich nun wie Volk verhält, also brav dem Rummel glaubt und sich ablenkt von seinem Leben. Diese Linke wähnt sich im Recht, wenn sie der Masse der Fußballfreunde und Fußballfreundinnen vorwirft, dass sie politisch untätig bleibt, dieweil diese Linke selbst sich gern Abend für Abend in „politischen“ Besäufnissen „mit DJs und Cocktails“ ergeht. Diese Linke verachtet jene, die sich unter der deutschen Fahne, die keine rote ist, sammeln und „unseren“ Jungs zujubeln, die keine Revolutionäre sind. Sie haben zwar schlechterdings Recht, wenn sie sagen, dass die Fußball-WM den Nationalismus noch mal zu neuer Größe führt, doch kann die WM gar nicht schlimmer sein als das, was der Kleine-Leute-Demokrat Möllemann und der Nationaldichter Walser zusammenbrauen, was Stoiber beschwört oder Schröder verspricht.

Der Nationalismus bei der WM ist Ausdruck des bereits vorhandenen und die WM nicht sein Ausgangspunkt. Auch diejenigen, die Kritik üben an der tumben Gemeinschaft, die das Jubeln für Rudis Mannen mit sich bringt, irren nicht. Andererseits: Die Mehrheit der Männer und Frauen, die jetzt schon früh auf die Großbildschirme in den Kneipen starren, hat sich mit einiger Sicherheit auch bislang nicht verdient gemacht um den Pursuit of Happiness und das gesellschaftliche Wohl.

Die Linke selbst hingegen hat sich in letzter Zeit ganz außerordentlich blöd angestellt. Sie bildet zwar einerseits große Gemeinschaften des Protestes. Sie ist aber andererseits unfähig, die Nazis in ihren Reihen auszusondern, billigste Analysen vorzunehmen oder sich von den antiemanzipatorischen Stimmen in ihren Reihen zu distanzieren. Am 1. Mai wird „Nationaler Widerstand“ gerufen, die Interim wirbt ohne Ironie mit harter revolutionärer Männlichkeit für den Riot, und in der jungen Welt werden Haider und Möllemann mannhaft gegen Antisemitismusvorwürfe verteidigt. Dennoch gibt es in der Linken bislang kaum eine Diskussion darüber. Eine solche revolutionäre Linke, die ihr Linkssein lediglich fühlt und nicht mehr erarbeitet, eine solche Linke kann am nationalen Fußballwahn kaum etwas kritisieren. Doch die allermeisten so genannten Linken kritisieren sowieso nichts mehr. Was in diesem Fall nicht schlimm ist. Fußball ist ja auch Spaß.

Also empfehlen wir, es so zu halten, wie es das Muvuca im Mehringhof tut. Es öffnet zu den Spitzenspielen bereits frühmorgens seine Türen und lädt zum Fußball-Gucken „ohne Rassismus und Sexismus“. Das ist die andere Tradition des linken Sich-zu-Fußball-Verhaltens, das ist die Liebe zu schwarzen Fußballern, zu den Trikont-Ländern und zum symbolischen Aufstand der Niedriglohnländer gegen die europäischen Kolonialherren.

Schlimmstenfalls pflegen dicke weiße Männer und Frauen dabei eine Liebe zu den schlanken schwarzen Spielern, die den Schwarzen Authentizität und Reste von Wildheit unterstellt, also eben bei aller Liebe erst recht rassistisch ist. Im überwiegend von Schwarzen geführten Muvuca wird man sich mit einer solchen Haltung allerdings wenig Freunde machen, in anderen gut geführten linken Cafés gleichfalls. Im besten Fall jedoch wollen die Leute tatsächlich einfach nur guten Fußball sehen, und die Brasilianer oder Kameruner spielen diesen guten Fußball. Zudem setzt Fußball auch bei den vernünftigeren Linken durchaus befriedigende Gefühle frei – trug es sich doch bei der letzten Europameisterschaft zu, dass am selben Tag England und Deutschland ausschieden.

In dem Café, in dem ich die Spiele angeschaut hatte, sahen wir auf der Leinwand, auf die die Spiele übertragen wurden, die fertigen Gesichter der deutschen und der englischen Hools und fühlten uns außerordentlich gut. Ein Gefühl, das jemand schließlich mit dem schönen Ausruf: „EM endlich nazifrei“ zusammenfasste. Linke können Fußball durchaus genießen. Und können in linken Cafés schönen Männern auf die Beine sehen und den miesen Alltag bunt beginnen.

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