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Die Nuss für Götter und Bauern

aus Abidjan HAKEEM JIMO

Kakaoaroma erfüllt das Büro. Am Arbeitsplatz von Christian Jacob duftet es wie in einer Dose Nesquick. Aus offenen Plastiksäcken, gefüllt mit Kakaobohnen, steigt das süß-herbe Aroma auf. „Es hilft immer, nah an dem Produkt zu sein, mit dem man handelt“, sagt der 30-jährige deutsche Kakaohändler.

Das Büro von Christian Jacob ist trotz des appetitlichen Duftes keine Idylle. Vor seinem Fenster rollen Laster mit immer neuen Kakaoladungen an – nach hinten hinaus dröhnt eine Trockenmaschine. Das Büro des Kakaoexporteurs aus Hamburg liegt im Hafen von Abidjan, der Wirtschaftsmetropole der Elfenbeinküste. Das westafrikanische Land produziert jährlich rund 40 Prozent der Welternte. Christian Jacobs Aufgabe ist es, einen guten Preis für den Kakao auszuhandeln und die Bohnen dann sortiert nach Europa zu verschiffen. Dafür bezahlt ihn sein deutscher Arbeitgeber aus Mannheim. Gerade in den vergangenen Monaten ist dieser Job besonders stressig. Denn der Kakaopreis schießt in die Höhe.

Der Kakaomarkt ist, verglichen mit anderen Rohstoffmärkten der Welt, klein: rund drei Millionen Tonnen jährlich umfasst er, das sind gut 1,5 Milliarden Euro Handelsvolumen. Aber für Westafrika ist er groß – der Kakaoexport hält die Wirtschaft von Ghana und der Elfenbeinküste am Laufen. Wenn eine kleine Gruppe der Beteiligten – Exporteure, die Industrie oder Spekulanten – ihre Strategie ändert, schildert Jacob, kann das schon entscheidend den Markt nach oben oder unten verändern und damit über die wirtschaftlichen Aussichten in diesen Ländern entscheiden.

Preiserholung am Markt

Seit November letzten Jahres steigen die Preise. Das ist neu, denn bislang waren sie stetig gesunken: von durchschnittlich 2.100 Dollar Mitte der 80er-Jahre auf etwa 900 im Jahr 2000. Erst jetzt ziehen sie wieder deutlich an. Die Steigerungsrate zwischen Mai 2001 und Mai 2002 beträgt 43 Prozent. Vorläufiger Rekord: 1.655 Dollar am 21. Mai.

Die Elfenbeinküste, Ghana, Nigeria und Kamerun bringen zusammen über zwei Drittel der jährlichen Weltkakaoernte ein. Vor zwanzig Jahren entwickelten afrikanische Agrarstaaten, ausgehend von dem damals hohen Verkaufspreis, hochfliegende Entwicklungspläne. Garant für die seinerzeit bewilligten Milliardenkredite des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank und anderer Geberinstitutionen war nicht zuletzt die exportierende Landwirtschaft – mit einem ihrer Hauptprodukte: Kakao. Man hoffte auf stabile Weltmarktpreise. Vergeblich, denn auch Südostasien setzte zu dieser Zeit auf die Agrarindustrie und begann massiv mit dem Anbau von Kaffee, Palmöl und – Kakao. Das drückte die Preise. Vor allem für die Elfenbeinküste, den weltgrößten Produzenten, war es eine Katastrophe: Der Staat wurde zahlungsunfähig, es folgten 1999 ein Militärputsch und jahrelange politische Unruhen.

Die derzeitige Preiserholung, die auch mit einer politischen Stabilisierung einhergeht, könnte von kurzer Dauer sein. Christian Jacob hält sie für spekulativ: „Hin und wieder kommt Panikstimmung auf, dass vielleicht doch nicht so viel Kakao auf dem Markt ist, wie zuvor angenommen wurde“, erklärt er. Prognosen gehen für kommendes Jahr von etwas über 1.200 Dollar pro Tonne aus. Denn über tausend Kilometer von Abidjan entfernt machen Frauen Christian Jacob und seinen Kollegen das Geschäftsleben schwer.

Konkurrenz durch Shea

Es ist früh am Morgen in Ouagadougou, der Hauptstadt des Sahelstaates Burkina Faso. Die Frauen der Kooperative „Songtaaba“ haben bereits vor Sonnenaufgang mit ihrer Arbeit begonnen. In großen Plastikbottichen verarbeiten sie Shea-Nüsse zu Butter. Eine Stunde dauert es, bis der dunkelbraune Brei durch pausenloses Schlagen und Zufuhr von Wasser hellgrau wird.

Shea-Bäume wachsen wild in Afrikas Sahelzone und gehören zur traditionellen Landwirtschaft von Burkina Faso, Mali, Niger und Tschad. Ein Shea-Baum braucht 20 Jahre, bis er die Frucht mit der Nuss darin trägt, dann aber lebt er 200 Jahre. Traditionell ist der Umgang damit Frauensache – eine der wenigen Möglichkeiten für Frauen in den zutiefst konservativen ländlichen Gebieten dieser Länder, eigenes Geld zu verdienen, ohne die Dörfer zu verlassen. Die Nüsse werden gesammelt, getrocknet und auf Märkten oder an Kooperativen verkauft. Dann wird die Butter aus den Shea-Nüssen zur Herstellung von Kosmetik und als Bratfett verwendet.

Künftig soll sie auch in der Schokoladenproduktion eingesetzt werden. Die EU verabschiedete vor zwei Jahren eine Richtlinie, die es erlaubt, in Schokolade so genannte nicht kakaohaltige Fette zu verwenden. Zuvor war in acht Ländern der EU, darunter Deutschland, Kakaoersatz verboten. Sieben hatten es erlaubt, etwa Großbritannien. Bis zu 5 Prozent dieser nicht kakaohaltigen Fette dürfen nun in Schokoladenrezepte aufgenommen werden – und das Produkt darf trotzdem weiter Schokolade heißen.

Der Streit schwelt seit mehr als 20 Jahren. Auf der einen Seiten die Schokoladen-Reinheitsverfechter, auf der anderen Seite zum Beispiel das englische Süßwarenunternehmen Cadbury, das auch andere pflanzliche Fette als Kakao in seine Schokolade mischt. Der Grund: Kakaobutterersatz, etwa die Sheabutter, ist teilweise billiger als der Originalrohstoff. Außerdem schmilzt gemischte Schokolade nicht so schnell – ein gutes Verkaufsargument für wärmere Absatzmärkte.

Die International Cocoa Organization in London zeigt sich entsetzt. Sie prognostiziert einen Erlösausfall für die Kakaoproduzenten von bis zu einer dreiviertel Milliarde US-Dollar. Der Verband wirft Brüssel Scheinheiligkeit vor. Schließlich hat sich die EU per Unterzeichnung einer internationalen Erklärung zur Förderung des weltweiten Kakaomarktes verpflichtet, speziell des Exports aus den ehemaligen europäischen Kolonien in Afrika, der Karibik und dem Pazifik.

Der Kakaoersatz aus dem Sahel ist für die Elfenbeinküste eine starke Konkurrenz. Dort gibt es viele Kakao-Großfarmer, die zum politischen Establishment gehören, während Kakao in Westafrika ansonsten meist von Kleinbauern angebaut wird. In den letzten zehn Jahren verdoppelte die Elfenbeinküste ihre Kakaoproduktion auf rund 1,3 Millionen Tonnen im Jahr – mit Hilfe von Dünger und gezüchteten Kakaobäumen. Auf den Farmen fällt viel Arbeit an: Jede Frucht muss vom Baum gehackt und einzeln aufgeschlagen werden. Nun sinken die Margen der Farmer, und sie müssen die Kosten drücken. Am einfachsten geht das mit Kinderarbeit.

Im Gegensatz zu den Kleinbauern müssen die Großfarmer Arbeitskräfte einstellen. Schon seit langem arbeiten Einwanderer aus den Sahelstaaten auf den Farmen der relativ reichen Elfenbeinküste. In den letzten Jahren gibt es immer mehr Berichte, Kinder würden gezielt aus den ärmeren nördlichen Nachbarstaaten Burkina Faso und Mali angeworben und in die Elfenbeinküste praktisch als Sklaven verkauft.

Der US-Kongress und die Süßwarenindustrie der USA einigten sich im Oktober 2001 auf einen Plan, wie Kinderarbeit beim Kakaoanbau vermieden werden soll. Auch internationale Verbände wollen ein Gütesiegel einführen, das ihren Kakao als frei von Kinderarbeit deklariert.

„Solch ein Gütesigel wäre eigentlich nur Makulatur“, wendet der deutsche Kakaohändler Christian Jacob ein. „Es sei denn, die Verbände kaufen Land und beginnen ihren eigenen Kakaoanbau. Ansonsten müsste halb Deutschland engagiert werden, sich hier in den Busch zu setzen und die Bauern zu beobachten.“

Die Krise in der Kakaowirtschaft ist möglicherweise die einzige ihrer Art, gegen die Schokolade essen wirklich hilft – am besten die etwas bittere, mit 70 Prozent Kakaogehalt. Langsam erkennen auch viele Westafrikaner, dass am Konsum von Schokolade auch ihre Zukunft hängt. Früher war der Verzehr von Schokolade kaum verbreitet, die Kakaobohne eine reine Exportware. Inzwischen kommt zumindest Ghana auf den Geschmack.

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