Schaulaufen für die lieben Kollegen: GERHARD SCHRÖDER (SPD)
Der Bewahrer des Sozialstaats
Auftritt: Der Kanzler darf als Erster reden, und er spricht volle 45 Minuten. Den meisten Zuhörern kommt es sogar noch länger vor. Dann sonnt sich Schröder im Blitzlichtgewitter – eingerahmt vom neuen und alten DGB-Vorsitzenden.
Wahlgeschenke: Schröder präsentiert sich als Bewahrer des Sozialstaats. Er verspricht die Sicherung der Arbeitnehmerrechte und den Erhalt der Tarifautonomie. Ausgiebig beschwört er gemeinsame Werte und Ziele wie die soziale Gerechtigkeit. Für den Fall seiner Wiederwahl kündigt der Kanzler außerdem neue Betreuungsangebote für Kinder an. Der neue DGB-Chef Michael Sommer lobt: „Gerhard Schröder hat sich auf den Weg zu uns gemacht, und er hat diesen Weg gefunden.“
Bittere Pillen: Die gibt’s nur bei der Opposition. Deswegen lautet Schröders Leitmotiv: „Das ist mit uns nicht zu machen.“ Reizthemen wie die Steuer- und Finanzpolitik spricht der Kanzler gar nicht erst an. Auch weitergehende Aussagen zur geplanten Arbeitsmarktreform klammert er lieber aus.
Wir-Faktor: Das offizielle SPD-Schlagwort „Wir in Deutschland“ kam zwar nicht vor – dafür gab’s die „Kolleginnen und Kollegen“ oder die „Freundinnen und Freunde“ nach jedem Absatz. Und noch eine Streicheleinheit für die Seele der Gewerkschafter: „Ich weiß, wo ich herkomme, und deswegen weiß ich, wo ich hingehöre.“
Polemik: Was hat der politische Gegner zu bieten? Zynisches Personal von gestern, das Lohndumping will, seine Klientel bedient und eine Reise in die Vergangenheit antritt. Ist ja auch kein Wunder. Es sind alte Herren mit einem antiquierten „Familienbild aus der Kaiserzeit: Frauen sollen eine Prämie erhalten, damit sie zu Hause bleiben.“ Auch ein Bildungsprivileg für gut Betuchte strebt die Opposition an.
Resonanz: „Na ja, eben eine Wahlkampfrede“, sagt ein Delegierter. „Das hat er vor vier Jahren auch schon alles erzählt“, findet eine Kollegin. Schon beim Zwischenbeifall lässt die Phonstärke zu wünschen übrig. Am Schluss gibt es nur eine Minute Applaus und keine Ovationen. Zwei Genossen stehen zwar auf, aber die Menge trotzt, bleibt einfach sitzen. ULRIKE HERRMANN
EDMUND STOIBER (CSU)
Der Freund der kleinen Leute
Auftritt: Der bayerische Ministerpräsident lässt die Delegierten eine halbe Stunde warten – ohne Entschuldigung. Zum Dank bekommt er Pfiffe schon von Beginn an. Er spricht 40 Minuten lang so souverän wie rhetorisch geschickt: Er rede niemandem nach dem Mund und erzähle Arbeitgebern wie Arbeitnehmern dasselbe.
Wahlgeschenke: „Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bleibt“, verkündet Stoiber im Tonfall des Weihnachtsmanns, „der Kündigungsschutz auch.“ Die Delegierten quittieren es mit bitterem Lachen: „Oho! Aha!“ Beim Tariftreuegesetz, das die Union im Bundesrat blockiert, macht er den Gewerkschaften Hoffnung auf den Vermittlungsausschuss. Damit war der DGB „nicht zufrieden“, so der Tagungsleiter Dieter Scholz .
Bittere Pillen: Immer schön wolkig bleiben. Den Kündigungsschutz (der also doch nicht bleibt) zu lockern heißt jetzt: „Optionen eröffnen, um Einstellungen zu erleichtern“. Die Delegierten allerdings erweisen sich als immun gegen verbale Verschönerungen. Es gibt Buhs und Pfiffe.
Wir-Faktor: „Meine Damen und Herren“, sagt Herr Stoiber wohltuenderweise. Das Wir-Gefühl versucht er dennoch herzustellen: Ex-BDI-Präsident Henkel, der „immer mit den Siegern Sekt schlürft, das ist nicht mein Freund!“ Stoiber ist bei weitem nicht für alles, was die Unternehmer wollen, oh nein! Schröder dagegen habe den Kapitalgesellschaften Steuergeschenke ohnegleichen gemacht. Stimmt. Punkt für Stoiber.
Polemik: Schröder sezieren – hat geklappt. Stoiber rechnet „meinem Vorgänger“ vor, dass die Finanzminister heute Körperschaftssteuern zurückzahlen, anstatt sie einzunehmen. „Da ist ein schwerer Fehler passiert!“ Pathos statt Polemik: „Auf der Strecke bleiben die Schwachen, die Kleinen, die Hoffnungslosen.“
Resonanz: „In der Kritik an Schröder sind wir einer Meinung“, sagt ein Gewerkschaftsdelegierter knapp. Aber für Stoibers eigene Pläne gelte: „Außer im Krieg wird nur noch im Wahlkampf dermaßen gelogen!“ Sechs Sekunden schwacher Beifall, 15 Zwischenrufe, 6-mal Pfiffe, 4 Tumulte, ein Transparent. HEIDE OESTREICH
FRITZ KUHN (GRÜNE)
Der Juniorpartner
Auftritt: Die Grünen als Schreckgespenst – das ist lange vorbei, auch bei den Gewerkschaftern. Die Partei wird als harmloser SPD-Juniorpartner akzeptiert, der niemand wehtut. Ein paar Stunden nach dem Auftritt des Kanzlers tut Kuhn alles, um diesen Eindruck zu bestätigen. Unaufgeregt und souverän. In dem Bemühen, ein besserer Sozialdemokrat zu sein. Das Wort „sozial“ kommt in seiner Rede 37-mal vor, „Gerechtigkeit“ 17-mal. Und „Umweltschutz“? Einmal.
Wahlgeschenke: Einzige konkrete Ankündigung – eine Grundsicherung für Kinder, die durch Kürzungen beim Ehegattensplitting finanziert wird. Das kommt an, vor allem weil Kuhn nur bei denen kürzen will, „die sehr viel verdienen“. Wichtigste Botschaft: Die Gewerkschaften sollen dafür sorgen, dass Rot-Grün gemeinsam weiterregieren kann. Die Grünen sind allemal freundlicher zu ihnen als die FDP.
Bittere Pillen: Die Erwähnung des Wortes „Ökosteuer“. Doch keine Angst. Kuhn weiß, dass die „nicht für alle angenehm“ war. An Besitzstände wagt er sich nur, als er die „nicht mehr ganz funktionierende Selbstverwaltung“ im Gesundheitswesen kritisiert. Prompt gab es die einzigen Pfiffe und Zwischenrufe – und sofort einen Rückzieher. „Damit kein Missverständnis entsteht: Ich stehe zur Selbstverwaltung.“
Wir-Faktor: Ausbaufähig. Ein echter Kumpel ist Kuhn noch nicht. Dafür ist er zu distanziert, duzt die Gewerkschafter nicht und ist zu sehr auf ihren Chef fixiert. Genauso oft wie die „lieben Kolleginnen und Kollegen“ (sechsmal) sprach er auch den „lieben Herrn Sommer“ an.
Polemik: Kuhn kennt nur einen Gegner – die FDP. Neben der obligatorischen Kritik an Möllemann („unanständig“) war Kuhn vor allem damit beschäftigt, das neue Schreckgespenst aufzubauen: Die FDP führe „mit ihrem neoliberalen Kurs“ nichts Geringeres im Schilde, als „die soziale Marktwirtschaft in Deutschland zu zerschlagen“.
Resonanz: 19-mal Zwischenbeifall, am Ende mehr als eine halbe Minute freundlicher Applaus. Die Gewerkschafter finden ihn nett, den Herrn Kuhn. Aber die Nachrichtenagenturen erwähnen seinen Auftritt nur beiläufig – in den Berichten über die Schröder-Rede. LUKAS WALLRAFF
GABI ZIMMER (PDS)
Die Funktionärin
Auftritt: Die Rede der PDS-Chefin war schlecht terminiert – am Fronleichnamsmorgen zwischen den Anträgen Nummer 68 und 69. Gabi Zimmer guckte entsprechend gequält. Gerade mal ein Viertelstündchen dauerte ihre Rede – eigentlich war es nur ein Grußwort.
Wahlgeschenke: Ganz ordentlich. Tobin-Steuer einführen, Körperschaftssteuer reformieren, Vermögenssteuer wiederbeleben und auch sonst kräftig umverteilen. Außerdem: Sozialsysteme nicht privatisieren, Streikrecht erweitern und – Tusch! – die Arbeitszeit verkürzen.
Bittere Pillen: Inhaltlich – keine. Rhetorisch – zu viele. Gabi Zimmers Rede unterscheidet sich um keinem Deut von der eines mäßig begabten Gewerkschaftsfunktionärs. Alle Ratschläge für schlechte Redner hat die PDS-Vorsitzende verinnerlicht: abgenudelte Bilder („Eulen nach Athen tragen“), Passivkonstruktionen („gebraucht wird ein Umsteuern“) und reichlich Jargon („da brauchen die Sozialsysteme eine Orientierung an der Bruttowertschöpfung“). Der Gähnfaktor liegt bei zwei bis sieben Zentimeter Mundöffnung.
Wir-Faktor: Die „Lohnabhängige“ machen mit Kollegin Zimmer „Druck auf Rot-Grün durch mehr links!“ Denn „kleine Leute müssen draufzahlen, für die Großen wird in die Kassen gegriffen“. Und eine Zahl für die Tränendrüsen: In der Bundesrepublik leben 1,1 Millionen Kinder in Armut, ohne dass die 48 Milliardäre deswegen ein schlechtes Gewissen haben.
Polemik: Findet kaum statt. Die Welt der Gabi Zimmer besteht aus anonymen Kräften. Druck von rechts braucht Druck von links, und die PDS soll das schlechte Gewissen von Rot-Grün bilden. Dass es derzeit nach Schwarz-Gelb aussieht, scheint bei der Führungsriege der Sozialisten noch nicht angekommen zu sein.
Resonanz: Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter beurteilen Frau Zimmer milde. „Die guckt nicht böse, die guckt nur konzentriert!“, hat eine Arbeitnehmerin erkannt. „Sie steht wenigstens zu dem, was sie sagt“, findet eine andere Delegierte. Ihr Kollege meint: „Menschlich okay, inhaltlich gut, emotional nicht besonders ansprechend.“ HEIDE OESTREICH
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