: Nicht in der Zivilgesellschaft
„Abgrund an Täuschung, Lügen und Diffamierung“: Gewerkschaften und LehrerInnenkammer fordern Rücktritt von Bildungssenator Lange. Schulleiter brüten über Sparvorgaben, denn mit deren Umsetzung will der Senator nichts zu tun haben
von SANDRA WILSDORF
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sowie die Vorsitzende der Hamburger LehrerInnenkammer fordern den Rücktritt von Bildungssenator Rudolf Lange (FDP). „Inkompetenz auf der ganzen Linie, ein unglaublicher Umgang mit Personal und einen moralischen Abgrund an Lügen, Täuschung und Diffamierung“ wirft die GEW-Vorsitzende Stephanie Odenwald dem Senator vor.
Lange hatte am Donnerstag in der Bürgerschaft Landesschulrat Peter Daschner und andere leitende Beamte in deren Abwesenheit scharf attackiert, ihnen die Qualifikation abgesprochen und mit dienstrechtlichen Schritten gedroht, weil es immer wieder neue Angaben zu den Lehrerstellen gab (taz berichtete).
Für Bernhard Nette, Personalrat Gesamtschulen, ist das nichts als der „Versuch davon abzulenken, dass man politisch den Abbau von Bildung vornimmt, obwohl das Gegenteil versprochen wurde“. LehrerInnenkammer-Vorsitzende Margarete Eisele-Becker hat den Eindruck, dass der Admiral a.D. „noch nicht in der Zivilgesellschaft angekommen ist. Wir sind es gewohnt, Konflikte mit Kommunikation zu lösen.“
Arno Becker, Vorsitzender des Lehrerverbandes Hamburg, hat hingegen zwar Verständnis dafür, „dass Herr Lange aus der Haut fährt, nachdem ihm offenbar dreimal falsche Zahlen vorgelegt wurden“, hätte sich das allerdings behördenintern gewünscht. Inhaltlich lehnt er die Stellenstreichungen jedoch ebenso ab wie die GEW: „Die zehnprozentige Stellenkürzung bei den Gesamtschulen ist der Tod dieser Schulform“, sagt Becker. Und wenn man den wolle, dann solle man das politisch erklären und nicht das Sparen den Schulleitern überlassen.
So nämlich macht es der Senator. In einem Brief an die Schulleitungen werden die Sparquoten mitgeteilt (siehe Kasten). Mit dem Zusatz: „Die Schulleitung entscheidet je nach pädagogischen und organisatorischen Gegebenheiten über die Verteilung über die Klassenstufen.“ Und so brütet jetzt beispielsweise Barbara Riekmann, Leiterin der Altonaer Max-Brauer-Gesamtschule darüber, wie sie mit fünf Kollegen weniger den gleichen Unterricht anbieten soll. „Das geht an den Kern von Gesamtschule.“ Denn die Förderung aller Schüler gelinge durch unterschiedliche Kursniveaus. Sie muss nun darüber nachdenken, Gruppen zusammenzulegen. Insgesamt werden etwa 100 Lehrer an andere Schulen versetzt. Weil jeder von ihnen acht bis neun Schülergruppen betreut hat, gehen den Gesamtschulen etwa 1000 Gruppen verloren.
Auch Volker Peters, Vorsitzender des Personalrats Beruflicher Schulen hat nur düstere Vorstellungen von einem Unterricht mit vier Prozent weniger Lehrern. „Wir haben in unseren Klassen Hauptschüler wie Abiturienten. Das wird ganz klar zu Lasten der Hauptschüler gehen.“ Und Ingrid Gröpl vom Personalrat Gymnasien, die mit drei Prozent Kürzungen noch glimpflich weggekommen sind, ist ebenso fassungslos, „angesichts der pädagogischen Erwartungen, die gerade jetzt auf dieser Schulform liegen.“ Denn das Abi nach zwölf Jahren kommt. Nur wie, das weiß niemand.
Klar wurde gestern auch: Von dem in dem Schreiben an die Schulleitungen angekündigten 200 Einstellungen werden wohl kaum Hamburger profitieren. „Denn darin sind auch die enthalten, die befristete Verträge haben, die in unbefristete umgewandelt werden“, erklärt Bernhard Nette. Und auch Lehrer, die aus anderen Bundesländern an Hamburger Schulen wechseln, seien bereits bedacht. „Wir gehen davon aus, dass 90 Prozent der in Hamburg teuer ausgebildeten Referendare der Stadt verloren gehen“, sagt Stefanie Odenwald.
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