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Ungetüme zum Verschwinden

Schränke sind unheimlich, weil man nicht weiß, was sich in diesen Monstren verbirgt. Alternativen für den unerlässlichen Stauraum bieten neue Entwürfe, die sich entweder zusammenfalten lassen oder als modulare Systeme variabel einsetzbar sind

Mit zunehmender Wohnfläche haben große Schränke wieder Renaissance

von MICHAEL KASISKE

„Im Korridor stand außerdem, kurz bevor er einen Knick ins absolut Dunkle machte, ein Ungetüm von Schrank. Er war stilistisch verwandt mit burgartigen Häusern und er muss, betrachte ich ihn, der mir heute noch vor Augen steht, als wäre ich gerade aus ihm heraus gekrochen, ein abscheulicher Koloss gewesen sein.“ Das Möbelstück, an dessen Erscheinung in der elterlichen Wohnung sich der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich hier so bildhaft erinnerte, ist gerade für Kinder ein unheimliches Objekt: weil ein Schrank äußerlich nicht erkennen lässt, was sich in ihm verbirgt.

Jenseits dieser Impressionen ist jedoch der Stauraum für die Dinge des Alltags unerlässlich. Perfekt für den urbanen Nomaden der Gegenwart ist der „Hoover“, den vor zwei Jahren Jörg Boner aus der schweizerischen Designgruppe N2 für den niederländischen Produzenten hidden entworfen hat. Die Assoziation mit „Staubsauger“ kommt nicht von ungefähr: Der Schrank entfaltet sich bei Gebrauch wie ein Staubbalg. Das Objekt besteht aus einem Rahmen aus Aluminium, an dem das eigentliche Körpervolumen aus Nylon wie ein Sack befestigt ist. Durch das Ausklappen von zwei U-förmigen Stangen wird der Stoff gestrafft und bildet einen Raum, in dem dann die Regalböden aus MDF eingesetzt werden. Zusammengelegt hat der Schrank mit der farbigen Tür lediglich die Tiefe des Aluminiumrahmens, gerade mal 15 cm.

Ein Vorläufer dieses Behältnisses ist der „Rollende Kleiderschrank für einen Junggesellen“ von Josef Pohl, dessen Prototyp sich in der Sammlung des hiesigen Bauhaus Archiv – Museum für Gestaltung befindet. Konzipiert für die Ausstellung „Volkswohnung Bauhaus“ in Leipzig 1929, ist der Schrank nie in Serienproduktion gegangen. Dabei hätte er, dessen einfache Verarbeitung, preisgünstiger Werkstoff und hohe Funktionalität schon seinerzeit überzeugte, ein Volksgut im besten Sinn werden können. Leider richtete sich die politische Entwicklung der 1930er-Jahre formal gegen die Moderne und beförderte wieder schweres Mobiliar – Ausdruck einer verschwommenen Vorstellung von Bürgertum – ins Wohnumfeld.

Mit dem zunehmenden individuellen Bedarf an Wohnfläche haben große Schränke wieder Renaissance, freilich aus anderen Gründen. Bei Besuchen in den frisch bezogenen Wohnungen von Freunden war ich mehrmals über die Leichtfertigkeit erstaunt, mit der wieder einiges Geld in so genannte Schrankwände investiert wird, in denen einfach alles „verschwinden“ kann. Dabei fällt die Willfährigkeit auf, mit der zum einen undifferenziert deponiert wird, zum anderen die den Raum beherrschende Dominanz dieser lediglich als „Speicher“ gedachten Objekte.

Gerade Schlafzimmer werden von diesen Monstren bevölkert. Leider wird in Deutschland auch in neueren Bauten nur selten das angeboten, was in amerikanischen Wohnungen gang und gäbe ist: der eingebaute, unauffällige und praktische Wandschrank. Und auch Schrankflure, also die Nutzung von Verkehrsflächen, in denen auf beiden Seiten Schränke die Wände bilden, setzen sich nicht durch.

Eine Alternative zu diesem Mangel bildet das universelle 1-2-3-Regalsystem von dem Berliner Designbüro Vogt + Weizenegger, durch das eine genau auf den Gegenstand bezogene Aufbewahrung ermöglicht wird. Das System beruht auf nur drei Elementen: der Platte, die sowohl Trennwand als auch Boden sein kann, das verbindende Metallelement und der flaschenförmige Fuß. Es ist modular einsetzbar, es kann von einem kleinen Medientisch bis zu raumbildenden Regalwänden ausgebaut werden. Für Wände und Böden werden die für Betonschalungen üblichen Platten aus strapazierfähigem Birkensperrholz verwendet. Aufgrund ihrer gleichförmigen und dichten Konsistenz können diese maschinell und damit präzise verarbeitet werden; dementsprechend ist die Ästhetik des 1-2-3-Regalsystems nüchtern und rational.

Vogt + Weizenegger beabsichtigte eine „reizfreie“ Gestaltung, die sowohl im Büro als auch in der Bibliothek oder auch zu Hause ihre Anwendung finden kann. Ein „Verzicht auf alle sonst typischen Designmerkmale“, den die Gestalter für diesen Entwurf reklamieren, bedeutet das nur insofern, als dass unnötiger Schnickschnack nach dem Motto „Wenn der Entwerfer nichts weiß, macht er einen Kreis“ unterbunden werden. Der Kontrast zwischen den dunklen Oberflächen und den in mattem Grau gehaltenen Metallteilen ist dennoch spannungsvoll.

Im Gegensatz zu einem Schrank, der immer für sich selbst steht, wird dieses System überlagert von den Dingen, die es in sich aufnimmt. Inzwischen gibt es auch zwei weitere Elemente, nämlich Türen und Rückwand, um auch geschlossene „Schrankräume“ im offenen System zu ermöglichen.

Zum Verstecken für Kinder sind diese Fächer allerdings zu klein, und in „Hoover“ hat das elastische Nylon überhaupt nicht die Anmutung einer dunklen Holzverlieses wie in alten Schränken.

Welche Erfahrung in der Gegenwart wohl die von Mitscherlich ablösen mag? „Was tat der Schrank?“, fragte dieser rhetorisch in dem Buch „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“, und antwortete mit dem erlebten kindlichen Reiz: „Wir hatten die Aufgabe, seine knarrenden Türen lautlos zu öffnen und hinter eingemotteten Plumeaus zu verschwinden, und es war der Spannung höchster Genuss, wenn die suchenden Hände im Halbdunkel sich zu uns herantasteten.“

Möbel von hidden bei: RUBY Design Living, Oranienburger Str. 32 (Heckmannhöfe), Berlin-Mitte www.hidden.nl.1-2-3-Regalsystem über den Hersteller: Tischlerei LICHTUNG, Gustav-Krone-Str. 8, Berlin-Zehlendorf

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