Der Unionskultur-Manager

Christoph Stölzl setzt als neuer CDU-Landeschef auf Bürgerlichkeit. Die SED hätte er nach der Wende am liebsten verboten gesehen. Mit der heutigen PDS will er den offenen Schlagabtausch. Mit den Grünen verbinde die Union derzeit mehr als mit der SPD. Und in der CDU will er Amtszeiten begrenzen

Interview STEFAN ALBERTI
und ROBIN ALEXANDER

taz: Herr Stölzl, in tristen Zeiten erinnern sich Menschen gern an strahlende Vergangenheiten. Hat die Berliner CDU deshalb einen Historiker zu ihrem neuen Vorsitzenden gewählt?

Christoph Stölzl: Die CDU hat einen Historiker gewählt, weil er seit langer Zeit in seinem Berufsleben viel weniger Historiker ist, sondern Kulturmanager. Dass heißt, jemand, der von Berufs wegen Leute ermuntert, begeistert, zusammenbringt. 16.000 Berliner CDU-Mitglieder haben zwar ein gemeinsames Programm und eine Bindung an Tradition – aber im Parteialltag wird das oft durch die gegenseitige Konkurrenz in den Hintergrund gedrängt.

Sie wollen also den konservativen Kommunikator geben.

Geschichtsbewusst, nicht konservativ. Die Leute haben richtig gefühlt, dass der Mensch Stölzl ein Erzliberaler ist. Ich lese immer, ich sei so konservativ. Konservativ ist aber auch ein Sozialdemokrat, der weiß, wer Bebel ist und was 1848 war. Für das Etikett habe ich überhaupt nichts übrig.

Ihr Projekt klingt nach 19. Jahrhundert – Sie wollen die CDU bürgerlich machen.

Ich möchte die CDU daran erinnern, was sie als Volkspartei sein könnte, nämlich mehr als ein großer Apparat zum Ausgleich von Interessen. Die Frage der Gerechtigkeit, diese große Leistung von CDU und SPD seit den 1950er-Jahren, muss balanciert werden durch die Frage nach der individuellen Lebensgestaltung, nach Engagement für das Gemeinwesen, egal ob im öffentlichen Dienst oder selbständig. Das ist die Urfigur des Bürgerlichen, und die entscheidet sich nicht nach Steuerklasse, Zehlendorfer Postleitzahl und Bücherschrank.

Bisher stand die CDU eher für Subventionitis und Bankgesellschaft. Keine bürgerlichen Tugenden bei Landowsky & Co?

Es ist vielleicht eine Besonderheit der Union zu Zeiten der großen Koalition gewesen, dass sie eine pragmatische Partei war, auf die theoretische Diskussion verzichtete und sagte: „Wer spricht von Siegen, Überstehen ist alles.“ Bei der Bankgesellschaft passte es im Grunde gar nicht zur Union Ludwig Erhards, auf so ein gewaltiges staatskapitalistisches Gebilde zu setzen. Da bin ich ein Liberaler – Wirtschaft soll in der Wirtschaft gemacht werden.

Es fällt auf, dass gerade Sie, erst kurz in der Berliner CDU aktiv, von Bürgerlichkeit sprechen. In ähnlicher Weise äußert sich eine Gruppe von Neu-Berliner CDU-Mitgliedern, die sich „Hugenotten“ nennen. Muss die Berliner CDU Bürgerlichkeit importieren? Gibt es eine solche Tradition hier nicht?

Die Berliner Union ist traditionell eine Partei der so genannten kleine Leute und eine Partei des öffentlichen Dienstes. Im ummauerten Berlin, beraubt um das Judentum, das in großen Teilen identisch mit dem fortschrittlichen Bürgertum war, verblieb nach Abzug aller großen Firmenzentralen eben vor allem der öffentliche Dienst als Kern einer bürgerlichen Gesellschaft. Dass nun diese „Hugenotten“ anklopfen, ist typisch: Berlin ist eine Kolonialstadt, immer kamen die Leute von außen.

Und welche Bedeutung hat diese Gruppe bei der Erneuerung des Landesverbands?

Ich sage diesen etwa 200 jungen Leute: Prima, dass Ihr da seid – aber jetzt geht mal in die Ortsverbände und seid dort Sauerteig, ihr könnt nicht als herrschende Klasse einfliegen.

Das selbstverantwortliche Engagement, das Sie einfordern, findet sich auch in der Kreuzberger Projektszene. Ihre nächste Zielgruppe? Fraktionschef Frank Steffel denkt schon vorsichtig an Schwarz-Grün.

Gerade durch das Fadenkreuz des Begriffs „Bürgergesellschaft“ können wir uns die Schnittmenge mit den Grünen anschauen. Wo sind wir uns eigentlich feindselig? Es kann doch nicht daran liegen, dass ich einen Schlips trage und die Grünen traditionell nicht. Entscheidend ist: Wie wollen wir leben? Und da gibt es zwischen Schwarz und Grün und den Liberalen zur Zeit sehr viel mehr Schnittmenge als mit der staatsgläubigen Sozialdemokratie, jedenfalls in der Union, wie ich sie mir wünsche.

Auch bei bürgerlichen Revolutionen rollen eigentlich Köpfe. In ihrer neuen CDU dürfen fast alle weitermachen.

Es gab auch sehr erfolgreiche sanfte Revolutionen. Wenn Sie den Landesvorstand mit elf neuen Leuten anschauen, dann ist da schon eine neue Generation im Kommen. Die alte CDU mit Diepgen und Landowsky mit den dazugehörigen Machtstrukturen ist weg.

Die Partei hat diese Veränderungen nicht geschlossen mitgetragen. Bei der Wahl schnitten Altgediente sehr gut ab, zwei von Ihnen stark beworbene neue, türkischstämmige Kandidaten jedoch bekamen die schlechtesten Ergebnisse aller Beisitzer.

Das verstehe ich tatsächlich nicht. Da schwanken in der Einsamkeit der Wahlkabine wohl einige zwischen dem, was sie gerade beschworen haben – Aufbruch und Neubeginn – und der Erinnerung daran, welches Hühnchen sie mit diesem oder jenem schon mal rupfen wollten. Ich nehme das nicht so ernst, sie sind ja gewählt worden, und in einer Partei sind 51 Prozent der Sieg.

Sie vergleichen sich mit einem Gärtner, der sät und wartet. Wie lange können und wollen Sie warten, bis Ihr Projekt Bürgerlichkeit greift? Die nächste Vorstandswahl ist schon im Frühjahr 2003.

Die Partei muss jetzt schnell etwas leisten, sie muss sich beteiligen an den Arbeitskreisen und Foren. Wie lange man aber braucht, bis in der Partei alle sagen: „Ja, das ist der richtige Weg“ – für eine solche Prognose fehlt mir die Erfahrung in der Verwandlung von Parteien.

Diepgen war fast 20 Jahre Parteichef. Was halten Sie davon, Amtszeiten zu begrenzen?

Wir müssen tatsächlich weg vom Bild des endlosen Politikerlebens – nicht nur weil die Abschiede so schmerzlich sind. Einen regelmäßigen Austausch halte ich für viel fruchtbarer, vielleicht alle zehn Jahre. Die Amerikaner haben das bei ihrem Präsidenten mit zwei Wahlperioden sehr gut vorgemacht.

Soll das ins CDU-Statut?

Ja, das halte ich im Zuge einer Parteireform für richtig.

Die Grabenkämpfe im Landesverband sind für Sie nur persönliche Streitigkeiten, wenn auch im Ausmaß homerischer Epen. Wieso? Es gibt doch klar erkennbar einerseits sehr populistische, andererseits sehr liberale Köpfe.

Wie jemand vor ein Publikum tritt, ist keine Frage der Ideologie. Wenn ich mir anschaue, was die Leute programmatisch auf ihre Fahnen geschrieben haben, sehe ich keinen Unterschied zwischen Frank Steffel und Peter Kurth (früherer Finanzsenator, d. Red.) oder zwischen anderen. Sich ideologisch zu unterscheiden heißt für mich, einen anderen Gesellschaftsentwurf haben …

 wie ihn beispielsweise die PDS hat.

Ich habe am 17. Januar auf die rot-rote Regierungserklärung mit einer Rede geantwortet, von der viele sagten: Sie kam auf Taubenfüßen daher, aber sie war die volle Härte. Und das stimmt auch: Das war echter, ehrlicher, „good old“ Antikommunismus – aus vollem Herzen. So denke ich: Ich hasse Diktatur. Ich hasse Unfreiheit.

Hassen Sie die PDS?

Nein, ich halte die PDS für einen Irrweg in der neuen deutschen Geschichte. Was im Herbst 1989 geschehen ist, war eine ungeheure Herausforderung zur tätigen Reue.

Inwiefern?

Die kommunistische Bewegung war endgültig gescheitert. Die demokratisch gesinnten Reste der Bewegung hätten sich integrieren müssen – in die moderne SPD, aber auch in die Union, die ja im Sinne des deutschen Parteienspektrums seit 150 Jahren auch eine sozialstaatliche Partei ist. Die idealistischen Sozialisten aus der SED wären ein interessanter Denkflügel in der SPD geworden. Die Law-and-Order-Leute aus der NVA wären sicherlich bei der CSU glücklicher geworden als in der PDS mit ihrem angeschminkten Jugendpopulismus.

Ex-SEDler sind für Sie interessante Gesprächspartner?

Der Kultursenator Thomas Flierl hat hier am Tisch gesessen und mir erzählt: Wir Bildungsbürgerlichen aus der SED/PDS sind doch gar nicht so weit entfernt von euch aus Dahlem und Zehlendorf.

Hat Flierl Recht?

Geschenkt. Zuerst hätte Herr Flierl anerkennen müssen, dass die SED/PDS das Bürgertum systematisch ruiniert hat in der DDR. Wenn man so vollkommen scheitert, muss ein Ende sein. Deshalb bin ich den Alliierten dankbar, dass nach 1945 die NSDAP verboten worden ist, obwohl es auch weiterwirkende Sympathien für die alte Ideologie in der deutschen Bevölkerung gab.

Hätte die SED nach der Wende verboten gehört?

Ich weiß um die schwierigen historischen Umstände, aber wenn ich mein Herz befrage, wäre das Verbot einer offen die Diktatur proklamierenden Partei die logische Schlussfolgerung gewesen.

Die PDS des Jahres 2002 möchten Sie aber nicht verbieten?

Nein. Die Partei hat sich ein demokratisches Programm gegeben. Das ist romantisch, utopistisch, sozialistisch und ohne jede Realisierungschance. Und völlig losgelöst schwenkt Gregor Gysi jetzt sein Fähnchen in der Tradition von Ludwig Erhard. Links von der SPD gibt es realistisch bei offenen Grenzen für Kapital und Arbeit keine sozialistische Option.

Der Berliner CDU empfehlen Sie für den Umgang mit der PDS „good, old Antikommunismus“?

Nein. Als die PDS in die Berliner Regierung einzog, musste noch einmal klar gesagt werden: Ihr kommt aus einem mit Schuld beladenen, völlig gescheiterten Experiment Sowjetdeutschland. Aber meine Rede war ein Schlusspunkt. Jetzt geht es um den offenen Schlagabtausch über die heutigen politischen Ziele.