spd-wahlparteitag: Aus Verzweiflung begeistert
Parteien sind eigenartige Gebilde. Sie verkörpern so von der Außenwelt abgeschirmte Räume, dass sie von der Überzeugung leben, ihr eigener Glaube könne Berge versetzen. Parteien sind so etwas wie die Kirchen der säkularisierten Welt.
Kommentarvon JENS KÖNIG
Die SPD hat das am Sonntag eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Die Genossen haben vor ihrem Parteitag so lange gebetet, die Rede ihres großen Vorsitzenden möge alle Mühseligen und Beladenen in ihren Reihen wieder zum Leben erwecken, dass am Ende alle nur davon überzeugt sein konnten, Gerhard Schröder habe genau das getan. Da war es schon gar nicht mehr so wichtig, dass Schröder für seine Verhältnisse – Gewinner des großen Rhetorikpreises war er noch nie – einen guten Auftritt hatte. Er hielt eine lupenreine sozialdemokratische Kanzlerrede.
Die Partei ist plötzlich von Schröder begeistert, weil sie begeistert sein muss. Es bleibt ihr auch nichts anderes übrig. Aber wie soll man den Gemütszustand einer Partei bewerten, die ihr ganzes Schicksal an eine einzige Rede hängt? Als verzweifelt?
Die SPD hat das Prinzip der sich selbst erfüllenden Prophezeiung zu ihrem wichtigsten Programmpunkt erhoben: Wir glauben so lange, dass wir gewinnen, bis wir tatsächlich gewinnen. Kohl war ein Großmeister in dieser Disziplin. Die Sozialdemokraten vergessen dabei, dass es bessere Methoden gibt, die eigenen Leute zu mobilisieren, als die der Autosuggestion. Und dass es nur am Anfang darauf ankommt, die Partei selbst zu überzeugen – am Ende entscheiden die Wähler über das Schicksal der Partei.
Mehr als alles andere würde der SPD der Mut helfen, zu ihrer eigenen politischen Überzeugung zu stehen. Wenn es um eine politische Richtungsentscheidung zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb geht, wie sie der Kanzler beschwört, wenn Schröder es ernst meint mit seinen Worten von den Zerstörern des Sozialstaates und den gefährlichen Populisten in der FDP – dann müsste die SPD eine Koalition mit den Liberalen ausschließen, und zwar jetzt. Der Tag, an dem die FDP bekennt, dass das mit ihrem Programm und den antisemitischen Ausfällen nur ein kleiner Scherz war, wird nicht kommen. Der Kanzler würde damit (endlich) aufs Ganze gehen – und Stoiber politisch unter Druck setzen, da dieser insgeheim auf eine schwarz-gelbe Koalition setzt. Aber Schröder starrt nur auf die Umfragen, die Rot-Grün keine Chance geben. Das ist nichts für Experten der sich selbst erfüllenden Prophezeiung.
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