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Urbane Vielfalt rhythmisiert

Zum Vergleich mit der Neuverfilmung: Das Abaton zeigt Walter Ruttmanns „Berlin. Die Sinfonie der Großstadt“

Der Kritiker und Schriftsteller Siegfried Kracauer ließ 1927 in seiner Rezension kein gutes Haar daran: „Hei, wie geschafft wird, wie die Bildstreifen durcheinander rasen, damit nur jeder Provinzler – und viele Berliner gehören zu dieser Sorte Provinzler – sich an der Raserei berausche, an der Konfusion, den Gegensätzen, den Maschinenteilen, den Autobussen, die immer wieder einmal auf dem Potsdamer Platz sich kreuzen, den gymnastischen Schutzleuten, an dem ganzen blöden Getriebe, das zum Glück nicht Berlin selbst ist, sonden nur eine Summe verworrener Vorstellungen, die Literatengehirne über eine Großstadt ausgebrütet haben.“

Trotzdem strömten die Zuschauer ins Kino, denn Walter Ruttmanns Film, der ganz ohne Schauspieler und Zwischentitel auskam und der dazu eine Stadt zur Hauptfigur erkoren hatte, den wollte man gesehen haben. Berlin. Die Sinfonie der Großstadt wurde zu einem Klassiker des modernen Films, bis heute begeistert diese Stadtsinfonie durch ihre fließende Montage, ihre Musikalität und ihre immer wieder kopierte Fotografie. Zuletzt wagte es der Dokumentarfilmer Thomas Schadt gar, Ruttmanns Konzept in das Berlin unserer Tage zu übertragen: Seine Neuinterpretation Berlin: Sinfonie einer Großstadt ist zurzeit im Kino zu sehen.

Ruttmann war über die Malerei zum Film gekommen. Er kümmerte sich wenig um dialektische Zusammenhänge, verband mit seinem Film keinen aufklärerischen Impetus, und Sozialkritik spielte hier nur eine Nebenrolle. Ruttmann wollte vielmehr die vielen optischen Phänomene der Stadt bannen und nach einem bestimmten Rhythmus ordnen. Sein Film wird oft als Prototyp des „Querschnittfilms“ gehandelt, da er – beeinflusst von der Ästhetik der „Neuen Sachlichkeit“ – von einem neutralen Standpunkt heraus eine urbane Vielfalt darstellen will. Dem Regisseur fällt dabei nicht die Aufgabe des Richters oder Analytikers zu, sondern er fügt die gefundenen Facetten zu einem dynamischem Ganzen zusammen: „Wenn es mir gelingt, die Menschen zum Schwingen zu bringen, sie die Stadt erleben lassen, dann habe ich mein Ziel erreicht.“

Spätere Kritiker sahen zu Recht eine direkte Verbindung zwischen Ruttmanns apolitischer, ästhetizistischer Position und einer unkritischen Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus. Aber auch wenn der Filmemacher nach 1933 zeitweise unter der Ägide Leni Riefenstahls arbeitete und 1940 zwei Propagandafilme für die Deutsche Wehrmacht realisierte, bleibt Berlin. Die Sinfonie der Großstadt doch ein faszinierendes Filmkunstwerk, das zu den großen Werken der deutschen Filmgeschichte gehört wie Metropolis oder Das Kabinett des Dr. Caligari. Lasse Ole Hempel

heute, 19 Uhr, Abaton

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