: Die perfekte Abhängigkeit
Existenzgründung, der Traum vom Häuschen im Grünen – den notwendigen Bankkredit gibt es meist nur, wenn die Frau bürgt. Was aber, wenn die Liebe zerbricht? Bürgschaften als Leidensgarantie?
von WALTRAUD SCHWAB
Schulden sollen ein Kavaliersdelikt sein. So jedenfalls wird es in dieser Stadt durch die Bankenkrise vorgemacht. Gleich, wer was angerichtet hat, jemand wirds schon zahlen. Cornelia Becker und Veronika Luczak können das bestätigen. Kavaliersdelikt ja. In ihrem Fall aber zahlen sie selbst. Die Frauen, die an die Kavaliere geglaubt haben.
Damals, als Freddy Mercury starb, wurde Cornelia Becker zum ersten Mal das Weihnachtsgeld gepfändet. „Ich hab geheult wie ein Schlosshund“, erzählt sie, „Ich konnte nicht sagen, ob wegen Mercury oder wegen dem Geld.“ Die heute 50-Jährige war Beamtin, angestellt bei der Postbank. Und hoch verschuldet. „Die einen wissen nicht, wohin mit dem Geld. Ich weiß nicht, woher.“ Ihr Traum von Familie und Häuschen am Berliner Stadtrand war 1990 jäh zerplatzt. Ihr Mann eröffnete ihr, dass er seine große Liebe gefunden habe und zog noch am gleichen Abend aus. Sie blieb mit dem nicht abgezahlten Eigenheim und zwei Kindern sitzen. Er, unauffindbar, stellte Kredit- und Unterhaltszahlungen ein.
Die Bank reagierte prompt und präsentierte Cornelia Beckers Unterschrift unter der Bürgschaft. Ahnungslos, naiv und verliebt hatte sie sie zehn Jahre zuvor beim Hauskauf unterschrieben. Bald erfuhr sie, was es heißt, bei Zahlungsschwierigkeiten mit dem gesamten Vermögen zu haften: Gerichtsvollzieher und Gehaltspfändungen. Erniedrigung und Depression. Armut und Schande.
Veronika Luczak kann das alles bestätigten. Nur, dass ihr Häuschen in Westdeutschland stand, der Bankbeamte, dem sie die Unterschrift gab, sie und ihre Familie persönlich kannte, „ihr schafft das schon“ mehr als einmal gefallen ist und sie es dann doch nicht geschafft haben. Ihr Mann bekam berufliche Schwierigkeiten, verschwand und ließ sie mit drei Kindern sitzen.
Die beiden Frauen sind keine Einzelfälle. Kreditinstitute scheuen sich nicht, gerade Ehefrauen – egal ob sie Einkommen haben oder nicht – zur Bürgschaft bei Familienkrediten heranzuziehen. Viele Frauen sind sich gar nicht im Klaren, was sie unterschreiben und – so zumindest urteilen Schuldnerberater – den Banken läge auch nicht daran, sie aufzuklären. Experten nennen diese Praxis „unverantwortlich“. Platzt ein Kredit, werden die Ehefrauen herangezogen was nicht selten zwei Generationen in Armut stürzt. Säumige Ehemänner kennen viele Tricks, nicht nur den Banken, sondern auch den Kindern gegenüber als zahlungsunfähig zu gelten. Zurück bleibt die bessere Hälfte, die nun für die Kinder aufkommen muss und so doppelt und dreifach bestraft wird. Der Gesetzgeber müsse verpflichtet werden, Kriterien für Bürgen zu entwickeln, lautet daher eine Forderung der Schuldnerberatungen.
Sowohl für Becker, die Charlottenburger Konditorentochter, als auch für Luczak begann der fatale Weg in die Schuldenspirale, als sie ihre Häuser unter Wert verkaufen mussten und in beiden Fällen auf Restschulden von über 100.000 Mark sitzen blieben. Aus Scham einigten sich beide Frauen mit der Bank über Abzahlungsmodi, die aufgrund der Zinszahlungen nie weniger wurden: Verlassen, allein erziehend, verschuldet, gepfändet. Und weit und breit niemand, der sie psychologisch unterstützte.
Ihren Männern ging es mittlerweile wieder gut – neue Selbstständigkeiten auf den Namen neuer Freundinnen. Neue, geleaste und von daher unpfändbare Autos, Einkommen, die auf dem Papier gegen Null tendieren. Luczak flüchtete in den Alkohol, Becker aber wurde krank und mit 45 Jahre arbeitsunfähig.
Dass beide auf ihrem Weg nach ganz unten zufällig an der „Initiative bürgschaftsgeschädigter Frauen“ (IBF) in Berlin vorbeigekommen sind, nennen sie heute einen Glücksfall. Cornelia Becker einigte sich – unterstützt von der Schuldnerberatung – mit den Banken auf ein Modell, das dem neuen Insolvenzrecht gleich kommt. In fünf Jahren werden ihre Schulden als getilgt gelten. Veronika Luzcak meldete als Privatperson Konkurs an und kann nun hoffen, ebenfalls in fünf Jahren von der Restschuld befreit zu werden. Sie ist allerdings verpflichtet, Erwerbsarbeit nachzuweisen. Seit einem Jahr arbeitet sie in einem Kiosk.
Durch die IBF kamen die beiden in Kontakt mit der Selbsthilfegruppe. Selbstbewusst sprechen sie mittlerweile von ihren „zerstörten Leben“, denn mit Schulden könne man keine Pläne mehr machen. Weder für sich, noch für die Kinder, noch für eine Zukunft. Dass Cornelia Becker eine Pension erhält, ist die Ausnahme. Die meisten Frauen gehen davon aus, im Alter auf Sozialhilfe angewiesen zu sein, denn ihre Renten werden, wenn überhaupt, minimal sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen