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Kultur gehört allen

Könige des Bastard-Pop: Freelance Hellraiser und Osymyso im Scandia

Interview: LARS BULNHEIM und VOLKER HUMMEL

Welcher Booking-Fuchs ausgerechnet die überschaubare finnische Kiez-Sauf-Sauna namens Scandia zum Austragungsort des interessantesten DJ-Abends seit langem auserkoren hat, wissen wir nicht. Aber um Professionalität, musikalisch wie organisatorisch, soll es wohl nicht gehen, wenn Osymyso und Freelance Hellraiser Bastard-Pop auflegen.

Sie sind Produzenten und DJs im Londoner „King Of The Boots“-Club, der Wiege des so genannten Mash-Up-Pop: Songhybriden, in denen Vokalspuren mehr oder weniger bekannter Hits mit der Musik aus anderen Stücken kombiniert werden: Whitney Houston singt zu Kraftwerk, Missy Elliott zu den Strokes, und mit Eminem lässt sich nahezu alles anstellen. taz hamburg sprach mit Osymyso, Freelance Hellraiser sowie den Bootleg-DJs Johnny und Marc von der Internetplattform www.cartelcommunique.com.

taz hamburg: Wann habt ihr mit dem Club angefangen?

Osymyso: Johnny und Mike haben schon vor einem Jahr begonnen, ich und Freelance Hellraiser kamen vor fünf Monaten dazu. So entstand langsam eine kleine Szene.

Das Phänomen – nicht das Ergebnis – erinnert an die frühen Tage des HipHop, an DJs, die von Rock über Reggae bis Soul alles auflegten.

Osymyso: Ja, im Oldschool-HipHop war, wie beim Bootleggen, alles erlaubt. Nicht so wie die Schicki-Labels von heute: Mo‘Wax und Ninja Tune bedienen sich beim Samplen einer sehr exklusiven und begrenzten Auswahl von raren Platten. Viele sehen in diesem Pop-Wissen ihre einzige Existenzgrundlage.

Wie wählt ihr die Tracks aus – geht es auch darum, musikalische Gags zu kreieren?

Mike (Cartel Communique): Ja. Dafür bieten sich vor allem Rivalitäten zwischen Musikern an, wie bei Christina Aguilera und Eminem. Es gibt aber auch eine andere Seite: Ich habe neulich Destiny‘s Child über „Ghost Town“ von den Specials gelegt. Wenn man bedenkt, wofür die Specials und der Song standen, der Rassismus und die Kämpfe damals, und dann hört man plötzlich den Gesang dieser drei schwarzen Sängerinnen darüber.

Osymyso: Ich habe mal Britney Spears‘ „Baby, Hit Me One More Time“ mit dem Soundtrack des Kampfspiels „Tekken“ unterlegt. Immer wenn die Zeile „Hit Me Baby...“ kam, hörte man dieses Fratzengeballer – ein klassischer akustischer Scherz. In London gibt es einen MashUp-Club der PRS heißt, Peoples Right to Sample: Wir nehmen das Akronym PRS (=englisches GEMA-Pendant, d. A.) und drehen es in das Gegenteil seiner ursprünglichen Bedeutung um. Leider geht dieser Humor zurzeit ein bisschen unter in den Hunderten von Bootleg-Tracks, die jeden Tag ins Netz gestellt werden.

Die große Aufmerksamkeit für die Bootlegs hat auch damit zu tun, dass ihr nicht die Rechte am benutzten Material besitzt. Wie steht ihr zum Copyright?

Osymyso: Ich bin absolut dafür. Wenn ich ein eigenes Musikstück produziere und es läuft im Radio, dann will ich dafür auch bezahlt werden. Musik ist nunmal die Existenzgrundlage vieler Menschen. Trotzdem sind mir die derzeitigen Copyright-Gesetze zu industriefreundlich, es muss ein vernünftiges Mittelmaß gefunden werden. Wenn irgendwer mit meiner Musik nur ein bisschen herumspielt und selbst nichts verdient, dann hab‘ ich damit kein Problem. Wenn etwa Madonna eine neue Platte rausbringt, dann sorgt ihre Firma dafür, dass die gesamte Welt davon erfährt. Man kann Madonna nicht entgehen, sie ist Teil der kulturellen Umgebung. Meine Kunst reflektiert meine nächste Umgebung, und das ist vor allem Popmusik. Deshalb nehme ich sie mir.

Wie steht die Musikindustrie zum Bootleg-Phänomen?

Freelance Hellraiser: Bei mir melden sich meistens Bands mit schwerwiegenden Image-Problemen. Die stellen sich das so vor: Ich mache ein Bootleg ihres Songs, der dann ein bisschen im Underground kursiert. Schließlich „entdeckt“ die Band das Stück, und es gefällt ihnen. Dann bringen wir den Song auf legale Weise auf den Markt. Und sie sagen tatsächlich, dass sie mir dafür ein paar hundert Pfund geben würden. Fuck off!

Osymyso: Die Majors kommen jetzt an und erzählen mir, dass ich illegal ihre Songs benutze und deshalb mit ihnen zusammenarbeiten muss. So ist es aber nicht. Die Majors leben von den Impulsen des Underground, und der Underground bedient sich bei ihnen. Aber erlaubt ist der Austausch nur in eine Richtung. Wie kann jemandem Kultur gehören? Kultur gehört allen. Niemand sitzt auf einer Insel. Künstler sollten von ihren hohen Rössern steigen und aufhören, sich auf die Brust zu klopfen und zu sagen: „Das habe ich gemacht, das gehört mir.“ Das ist einfach nicht wahr – wir alle haben es gemacht.

Mike: Das ist die Theorie von Marx!

Johnny (Cartel Communique): Nee, die gehört ihm nicht! (Gelächter)

Freelance Hellraiser/Osymyso live: Fr, 24 Uhr + Sa, 23 Uhr, Scandia (Gerhardstr. 7); zu Gast bei BTTB auf FSK 93,0: Freitag, 17–19 Uhr

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