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Gift in der Ökoecke

Der Nitrofenskandal wird die rot-grüne Bio-Offensive verlangsamen. Doch ein geringeres Tempo könnte der Agrarwende auf Dauer sogar mehr nutzen als schaden

Auch die Biobranche gerät in Strukturen, die mit ökologischem Landbau nichts zu tun haben

Das von Ministerin Künast erhoffte schnelle Ende des Nitrofenskandals mag sich einfach nicht einstellen. Das verkündete Machtwort, die Giftfunde in Fleisch und Eiern seien jetzt aufgeklärt und damit basta, verpufft kläglich im Strudel täglich neuer Pestizidmeldungen. Und die Zahl der Skeptiker, die nicht glauben mag, dass eine mit SED-Giftreserven verseuchte Lagerhalle den ganzen Skandal erklären kann, nimmt zu.

Das Thema kocht also weiter, und es wird genüsslich geschürt. Denn endlich, so der fast erfreute Tenor mancher Kommentatoren, haben auch die Bios, jene ewig besserwissenden Latzhosenträger mit ihrem in der Mohrrübe eingebauten Heiligenschein, ihre Unschuld verloren. Jene, die schon immer alles anders und besser machen wollten, mussten die Regale räumen und hektisch ihren verseuchten Eiern und Putenkeulen hinterherlaufen. Da lacht der BASF-Pflanzenschutzberater. Der Skandal trifft mitten in die Aufbruchstimmung der Agrarwende. Die schicken neuen Bio-Aufkleber waren gerade verteilt, die Plakate zur großen Kampagne gedruckt, die neue grüne Ecke in den Supermärkten eingerichtet. Und jetzt der Gifthorror. Dass kein einziger Biobauer erwischt wurde, der auf seinem Acker nächtens heimlich die chemische Keule ausgebracht hat, kann niemand beruhigen.

Es sind auch nicht allein die Giftfunde, die uns verstören. Es ist das so genannte Umfeld, die Begleitmusik des Skandals und die plumpe Herumlügerei. Es ist das Vertuschen und was so nebenbei alles sichtbar wird. Man lupft den Stein und sieht das Gewimmel!

Schon die Begrifflichkeiten verstören ein Publikum, das die Ökobauern im idyllisch grünen Schrebergarten verortete. Es sind romantische, teilweise sogar infantile Vorstellungen, die viele Verbraucher von der Biobranche haben. Samstag für Samstag treffen sie diese netten Bauern auf dem Ökomarkt. Und jetzt das? Schon das Wort „Zwischenlager“ im Kontext mit Ökoweizen macht einem Schüttelfrost. Was bisher nur mit abgebrannten Brennelementen in Zusammenhang gebracht wurde, soll plötzlich für jenen Weizen gelten, den selbst streng dreinblickende Genossinnen morgens in ihre Getreidemühle hineinlassen. „Im Paradiesgärtlein regiert das Laster“ höhnt die FAZ am Sonntag.

Zwischenlager! Zwischen was lagern wir da eigentlich zwischen? Zwischen dem dritten und vierten Besitzer einer Tranche Ökoweizen, die von Brokern und Maklern auf dem Biomarkt wie Aktienpakete hin- und hergeschoben werden. Der vergiftete Bioweizen soll innerhalb eines halben Jahres allein vier Besitzer gehabt haben. Da sind immer neue Händler, Großhändler, Zwischenhändler und da ist ein riesiges Mischfutterwerk namens GS agri, durch dessen Abfüllanlagen biologisches und konventionelles Getreide im munteren Wechsel rieselt.

Es ist noch gar nicht so lange her, da bejubelte der Bioverein Naturland die neue Kooperation mit GS agri als großen Durchbruch. Man darf diese Firma getrost als organisierte kriminelle Bande bezeichnen. Sie hat wissentlich vergiftetes Getreide ausgeliefert. Kleine Kinder, Schwangere, Kranke – sie alle haben direkt oder indirekt davon gegessen. Die Sprachregelung der Ernährungsexperten, dass keine akute Gefahr bestehe, klingt wiederum wortgleich wie die hinlänglich bekannten Äußerungen der Bauchredner aus der Atomindustrie. Fenster schließen, Ruhe bewahren!

Vermutlich blicken wir auch deshalb so entgeistert auf den Skandal, weil wir ahnen, dass sich Ähnliches in Zukunft häufen könnte. Schon vor der Agrarwende war sichtbar geworden, dass sich Bio- und konventionelle Märkte aufeinander zu bewegen, dass sich die Ökobauern nicht wirklich von der übrigen Landwirtschaft emanzipieren können. Ein einfaches Beispiel: Der Verfall des Schweinefleischpreises brachte vor Jahren auch die Biomäster unter Druck. Wenn der Preisabstand zwischen Öko- und Quälfleisch zu groß wird, verkauft sich Ökofleisch einfach schlechter und die Preise fallen. Die Verknüpfungen zwischen beiden Märkten sind groß, und sie werden weiter wachsen. Mit der Künast’schen Agrarwende werden industrielle Strukturen noch schneller in die vermeintlich kuschelige Ökoecke vordringen und mit ihnen auch eine neue Moral. Schon jetzt sind nicht mehr die Pioniere und kleinen Erzeuger die alimentären Taktgeber.

Der Kasseler Agrarforscher Götz Schmidt sieht bereits „Teile des Ökolandbaus von der ganz normalen Krankheit der Landwirtschaft eingeholt.“ Natürlich muss auch eine Biokuh heute 6.000 bis 8.000 Liter Milch geben mit allen Folgen für Tiergesundheit und Lebenszeit solcher Kühe. Natürlich werden auch den Biohühnern selbst im Freiland 250 bis 280 Eier im Jahr abverlangt. Natürlich werden dort dieselben hochgezüchteten, sich gegenseitig tothackenden Eiermaschinen eingestallt.

Schon das Wort „Zwischenlager“ im Kontext mit Ökoweizen macht einem Schüttelfrost

Ganz wesentlich hängt unser Erschrecken über den Skandal aber auch mit der Rolle von Naturland zusammen. Die Verlautbarungen dieses Bioverbands ähneln den Pressemitteilungen einer Nukem oder Alkem aus Hanauer Sumpfzeiten. Kein Eingeständnis, keine Entschuldigung für das eigene Versagen. Sondern mieses Herumlavieren. Es ist unstrittig, dass Naturland, nachdem man von den Pestizidfunden erfahren hat, weder die Öffentlichkeit noch die Behörden rechtzeitig informiert hat. Dass man dann noch schnell das eigene Naturland-Label von bestimmten kritischen Waren abgekratzt hat, zeigt, wie die Verantwortlichen dieses Verbandes ticken. So sind Sie!

Wir wissen von früheren Giftskandalen, dass sie Vieles in Gang gebracht und die Kontrollsysteme verbessert haben. Darauf dürfen wir nun hoffen. Denn nicht nur Künast ist alarmiert. Auch der Biobranche selbst dämmert allmählich, dass die große Öko-Offensive erhebliche Probleme mit sich bringen könnte. Dass man immer stärker in die Arme verrotteter agroindustrieller Strukturen gerät, die mit dem Kerngedanken ökologischen Landbaus nichts am Hut haben. Es sind Großfirmen, die auf ihre ganz normale üble Produktion obendrauf als grünes Zuckerl den Ökolandbau setzen. Wie die GS agri. Es sind Firmen, die weder Landschaft noch Böden schützen wollen, die weder gesundes, authentisches Essen produzieren, noch Tiere und Pflanzen pflegen wollen. Für sie zählt allein der Cash-Flow.

Der Nitrofenskandal wird die Bio-Offensive von Künast verlangsamen. Und das ist gut so. Es kommt nicht darauf an, in kürzester Zeit den Ökoanteil auf 10 oder 20 Prozent zu katapultieren, wie es die grüne Landwirtschaftsministerin als Ziel vorgegeben hat. Nicht Tempo um jeden Preis, sondern eine kontrollierte Offensive ist nötig. Viel wichtiger ist, dass am Ende von den Träumen der Ökogründergeneration noch was übrig bleibt. Der fliegende Teppich der Utopie ist hart gelandet. Jetzt müssen die Chancen der Nitrofenkrise genutzt werden. Damit dort, wo Bio draufsteht, am Ende auch wirklich Bio drin ist. MANFRED KRIENER

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