: „Wo Korruption ist, kommt Mafia“
Leoluca Orlando hat lange gegen die Mafia gekämpft. Nach dem Kölner SPD-Skandal warnt er die Deutschen: Wenn Korruption zum System wird, zersetzt sie die Demokratie und hilft Populisten. Er rät zu strengen Strafen und ständiger Aufmerksamkeit
Interview PASCAL BEUCKER
taz: Als Oberbürgermeister haben Sie sehr aktiv die Korruption in Palermo bekämpft. Besuchen Sie jetzt Köln, um noch einmal richtig Korruption in R(h)einkultur zu erleben?
Leoluca Orlando: Ich denke, dass wir schon lange Zeit die Krankheit aus Sizilien exportieren. Nun versuche ich, auch die Therapie zu exportieren. Wir haben in Italien viele Fehler gemacht. Die Deutschen sollten nicht unsere Fehler noch einmal machen. Deshalb spreche ich hier über Korruption und Mafia.
Was sollten wir denn lernen?
Wir haben gesehen, dass in Süditalien die Korruption aus der Mafia entstanden ist und in Norditalien die Mafia aus der Korruption. Das heißt, es gibt eine Verbindung zwischen Mafia und Korruption: Wo die Mafia ist, kommt die Korruption; wo die Korruption ist, kommt die Mafia. Beide haben etwas gemeinsam. Sie brauchen Freunde innerhalb des Systems. Die Mafia ist innerhalb des Staates und doch gegen den Staat, innerhalb der Banken und doch gegen die Banken, innerhalb der Kirchen und doch gegen sie. Mit der Korruption ist es das Gleiche. Korruption ist innerhalb des Staates und doch gegen den Staat, innerhalb der Politik und doch gegen die Politik.
Waren Sie überrascht, als Sie von dem Kölner Müllskandal erfahren haben?
Nein, ich war über diesen Skandal nicht überrascht. Wenn ich überrascht gewesen wäre, würde das bedeuten, ich wäre nicht bereit, tatsächlich gegen Korruption zu kämpfen. Denn man muss überall damit rechnen. Ich muss sogar in meiner eigenen Partei auf Korruption achten und verhindern, dass ein Korruptionssystem entsteht.
Was könnte denn aus Ihrer Sicht eine wirksame Therapie gegen Korruption sein?
In Italien ist aus den einzelnen Korruptionsfällen ein System entstanden. Die Frage ist, ob in Deutschland die Fälle von Korruption bereits zu einem System geworden sind oder nicht. Wenn Korruption zum System wird, zersetzt sie die Demokratie. Die Bevölkerung denkt, dass eine Verbindung zwischen Korruption und Politik besteht. Wenn sie das denkt, wird sie am Ende sagen, dass alle Politiker gleich korrupt sind. Das ist gefährlich, weil es sie empfänglich macht für populistische Rattenfänger. Die Parteien müssen sich deswegen klar gegen Korruption bekennen – und zwar nicht nur symbolisch. Sie müssen einen Codex haben, der auch klare Sanktionen vorsieht. Es geht um die Durchsetzung einer Kultur der Legalität.
Alle Parteien beteuern doch, dass sie gegen Korruption sind.
Wir brauchen individuelle Verantwortung. Niemand kann sagen, dass eine bestimmte Partei schuldig ist. Aber wenn eine Partei merkt, dass ein Mitglied Unrecht begangen hat, kann sie konkret etwas dagegen tun. Sie darf ihn nicht aus Angst vor schlechten Schlagzeilen oder aus Gründen der Parteiräson decken.
Ist Korruption in Großstädten wie Palermo oder Köln überhaupt zu verhindern?
Es ist nicht notwendig, in der Politik in Verbindung mit Korruption zu stehen. Als ich Oberbürgermeister von Palermo war, haben wir ein Antikorruptionssystem etabliert. Es geht darum, ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, dass korruptes Handeln erschwert und bestenfalls sogar unmöglich macht.
Wie kann man das schaffen?
Es muss viel darüber gesprochen werden. Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit sind wichtig, sie sind der Feind des organisierten Verbrechens. Denn das benötigt Schweigen und Klandestinität. Das Problem darf nicht geleugnet werden. Wenn der Oberbürgermeister von Köln oder Paris sagt, dass es in seiner Stadt keine Mafia gibt, ist das bereits eine offizielle Einladung für die Mafia, nach Köln oder Paris zu gehen. Und wenn eine Partei sagt, dass es in ihr keine Korruption gibt, ist das eine offizielle Einladung für die Korruption, in dieser Partei Einzug zu halten.
Auch im Ausland können Sie sich nur noch unter sehr strengen Sicherheitsmaßnahmen bewegen. Bereuen Sie nicht manchmal, einen so hohen Preis für Ihr Engagement gezahlt zu haben?
Ich denke, es ist jetzt sowieso zu spät dafür, das zu bereuen.
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