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Sturzbesoffen zum Begräbnis

Die Bremische Evangelische Kirche hat als erste in Deutschland über Sucht unter ihren Pastoren geforscht

Schon als junger Mann hat der evangelische Pastor mit dem Trinken begonnen. Zuerst ein Gläschen Wein, später vor dem Konfirmandenunterricht Cognac und Whisky, schließlich gerne auch ein Sektfrühstück. Die Gemeinde tolerierte lange, dass er mit Fahne predigte, manchmal nach Tauffeiern und Trauungen auch sturzbesoffen war. Selbst auferlegte Saufpausen und auch die Entziehung brachten nichts.

Die Kirchenleitungen sehen in solchen Pastoren immer noch Einzelfälle. Obwohl gerade kirchliche Strukturen in den Alkohol treiben können, hat Suchtberaterin Andrea Jonasson bei einer Untersuchung in der Bremischen Evangelischen Kirche festgestellt. Die Betroffenen sind fast immer beruflich überfordert. „Etliche Gemeinden erwarten eine Rund-um-die-Uhr-Präsenz des Pastors“, sagt Jonasson. Kürzungen auf Grund sinkender Kirchensteuereinnahmen, zunehmend mehr Einzelpfarrstellen und überforderte Kirchenvorstände verschärfen die Probleme.

Zwischen fünf und zehn Prozent der Beschäftigten in der Kirche haben ein Suchtproblem, schätzt Jonasson. Das entspreche dem Durchschnitt in der Gesamtbevölkerung. Die Bremer haben als erste und bisher einzige Landeskirche der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) konsequent reagiert. Jonasson half beim Aufbau eines Arbeitskreises zur Suchtprävention, begleitete Betroffene und entwarf einen Leitfaden zur Sucht in der Kirche. Die „Handreichung“ beschreibt umfassend Erkrankungen wie Arbeits-, Spiel- und Nikotinsucht, Essstörungen und die Co-Abhängigkeit von Kolleginnen und Kollegen. Ein „Verdachts-Barometer“ gibt Tipps, wann Alkohol im Spiel sein könnte. Wenn Unpünktlichkeit, erhöhte Unfallhäufigkeit und Leistungsschwankungen, hohe „Trinkfestigkeit“, Streitsucht, großspuriges Auftreten und Stimmungsschwankungen zusammenkommen, soll eingegriffen werden.

Für Jonasson kann es eine wirksame Hilfe nur geben, wenn Verständnis für die Krankheit mit genauen Absprachen und Auflagen einhergeht, die der Betroffene auch erfüllen kann. „Wir wollen niemanden bestrafen, sondern ihn möglichst zu einem frühen Zeitpunkt zur Therapie motivieren“, betont Angelika Dornhöfer, Mitglied des kirchenleitenden Gremiums der bremischen Landeskirche. Doch noch bleibt vieles zu tun. In der EKD gibt es keine speziellen Häuser für Seelsorger wie in der katholischen Kirche, wo Priester in „Trockendocks“ medizinisch, geistlich und spirituell betreut werden. Doch gerade dieser Schritt wäre für Jonasson besonders wichtig, um die Überforderung ehrenamtlicher Helfer zu vermeiden.

Dieter Sell (epd)

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