: Agrarpolitik bleibt undemokratisch
EU-Verfassungskonvent: Keine Kritik an Agrarpolitik, keine Beteiligung des Europäischen Parlaments. Dabei fließt die Hälfte des EU-Haushalts in die Landwirtschaft. Grüne fordern Agrarwende ab 2006, aber Beitrittsländer fürchten um Subventionen
aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER
Bei einem der drängendsten Probleme der Europäischen Union, der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), wird es auch weiterhin keine Mitsprache der Bürger geben. Im Plenum des EU-Verfassungskonvents werde die EU-Landwirtschaftspolitik in ihrer derzeitigen Form nicht kritisiert, teilte der Konventspräsident Valérie Giscard d Estaing gestern verblüfften Bauernfunktionären, Umweltschützern und Regionalvertretern mit, die zu einem „Agrikultur-Konvent“ ins Europaparlament nach Brüssel gekommen waren. Niemand habe dafür plädiert, dem Europaparlament künftig beim Agrarbudget ein Mitspracherecht einzuräumen. Außerdem habe der Konvent gar kein Mandat, über die derzeit in der EU-Kommission diskutierte Neuordnung der Subventionen für den ländlichen Raum nachzudenken. Allenfalls die grundsätzliche Rolle der Landwirtschaft in einer erweiterten EU und der Gegensatz Agrarwirtschaft und Umweltschutz könnten im Rahmen der Zukunftsdiskussion behandelt werden.
Die Teilnehmer der Tagung waren irritiert. Auf Einladung der Grünen im Europaparlament, der Böll-Stiftung, der polnischen Stiftung für ländliche Entwicklung, der Karpaten-Stiftung und dem WWF waren sie nach Brüssel gekommen – Tür an Tür mit dem „richtigen“ Konvent, der bis Ende des Jahres eine Reform der Europäischen Union erarbeiten will. „Die Landwirtschaftspolitik ist ein Testfall für die Frage, ob es dem Konvent gelingt, mit der Zivilgesellschaft ins Gespräch zu kommen“, hatte Monica Frassoni, grüne Fraktionsvorsitzende im EP, betont.
Diesen Test bestand zumindest Konventspräsident Valéry Giscard d’Estaing nicht. Immerhin fließt jeder zweite Euro aus dem Gemeinschaftshaushalt in die Landwirtschaftssubvention, und die Bürger nehmen an kaum einem Thema so stark Anteil wie an der Frage, ob ihre Lebensmittel sicher sind. Die Fehler der Vergangenheit, so der niederländische Landwirtschaftsminister Laurens Jan Brinkhorst, würden sich auch in einer erweiterten EU fortsetzen, solange das Europaparlament in diesem zentralen Bereich seine Kontroll- und Budgetrechte nicht ausüben könne. „Die gemeinsame Agrarpolitik war nie demokratisch. Es wird Zeit, das zu ändern.“
Diese Forderung steht auch in dem Diskussionspapier, das vom Büro des grünen Agrarexperten Graefe zu Baringdorf als Grundlage für den Agrikultur-Konvent erarbeitet wurde. Es fordert ferner, die landwirtschaftspolitischen Ziele im EU-Vertrag neu zu formulieren. „Das oberste Ziel der gemeinsamen Agrarpolitik, genügend Nahrungsmittel in der Union zu garantieren, ist gut erfüllt worden. Als Nebeneffekte dieser Erfolgsstory sind aber neue Probleme aufgetaucht wie Umweltzerstörung und Landflucht, wachsende Bedrohungen für Tierschutz und menschliche Gesundheit“, stellt das Papier fest. Deshalb solle nach dem Ablauf der bisherigen Finanzperiode von 2006 an eine radikale Agrarwende eingeleitet werden.
Die meisten Diskussionsteilnehmer machten deutlich, dass sie die Wende früher einleiten wollen. Der deutsche Agrar-Staatssekretär Martin Wille sagte: „Die neuen Ziele der Agrarpolitik wie Tierschutz, Nachhaltigkeit und Lebensmittelsicherheit müssen in den EU-Vertrag. Wer anders soll dafür sorgen, wenn nicht der große Konvent, der die Zukunft der EU behandelt.“ Erweiterung und Agrarreform müssten parallel laufen.
Das sehen die meisten Kandidaten ganz anders. Der polnische Landwirtschaftsminister Jarosław Kalinowski betonte ebenso wie seine Kollegen aus Slowenien, Ungarn, Tschechien und der Slowakei, die Neuen dürften nicht „Opfer der Reform“ werden. Vom Beitrittstag an müssten sie die gleichen Subventionen aus der klassischen gemeinsamen Agrarpolitik erhalten wie die derzeitigen Mitgliedsländer. Die polnische Landwirtschaft sei ohnehin viel umweltschonender als die der alten EU. Die Liste der im Tierfutter verbotenen Substanzen etwa sei länger.
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