: „Langfristig instabil“
Die Globalisierungskritikerinnen Susan George und Nicola Bullard sehen das Weltwirtschaftssystem in der Defensive und räumen mit dessen Mythen auf
„Bei ihrer Gründung vor 57 Jahren galten Internationaler Währungsfonds und Weltbank als extrem progressive Institutionen. Heute sind sie nicht nur nutzlos, sondern geradezu schädlich.“ – Für Susan George, Vizepräsidentin von Attac France und langjährige Vordenkerin der globalisierungskritischen Bewegung, bleibt dennoch die Hoffnung auf Reformen hin zu einer gerechteren Welt: „Die Welt ist schließlich von Menschen gemacht und kann sich ändern“, so George am Samstag bei der Abschlussveranstaltung des taz-kongresses on tour.
Zwar habe die Bewegung derzeit vor allem mit rechten Populisten zu kämpfen, die die Verlierer der Globalisierung mit einfachen Lösungen auf ihre Seite zu bringen trachten. Doch sei auch das kapitalistische System in sich erschüttert: „Jeden Tag gibt es eine neue Krise auf den internationalen Finanz- und Warenmärkten“, dazu komme eine Krise der Demokratien, die sich an immer geringeren Wahlbeteiligungen und politischem Desinteresse festmachen lasse, sagte George. Vor allem die steigende Arbeitslosigkeit bei gleichzeitig abnehmenden sozialen Leistungen schaffe hier ein explosives Klima. „Wer aus diesem System herausfällt, destabilisiert es“, so George. Die kritische Masse hält sie weltweit spätestens im Jahr 2020 für erreicht.
Einer radikalen Systemveränderung stimmte auch Nicola Bullard vom Think-Tank „Focus on the Global South“ in Bankok zu. Allerdings, so Bullard, seien die Ausgangsbedingungen weltweit extrem verschieden: „Wir können in Südostasien schließlich nicht wie in Europa über die Bewahrung des Wohlfahrtsstaates diskutieren. Es hat dort nie so etwas gegeben.“ Vor einer Reform der supranationalen Institutionen müsse außerdem zunächst auf nationaler oder regionaler Ebene für die Schaffung demokratischer sozialer und politischer Strukturen gesorgt werden: „Denn wer soll denn sonst die Interessen dieser Länder vertreten“, fragte Bullard. Dieser Prozess sei aber umso schwieriger, weil internationale Institutionen wie Weltbank und Währungsfonds den Aufbau solcher Strukturen unterminierten.
Dabei geht es gerade im Süden um viel Grundlegenderes: „Unser Problem ist nicht die Privatisierung des Rentensystems, wir reden über Nahrung, Arbeit, Überleben“, so Bullard. Das, was in den USA und Europa als angebliche „De-Regulierung“ der Weltwirtschaft wahrgenommen werde, sei in Wahrheit eher eine „Re-Regulierung“, die vor allem den Wirtschaftseliten nütze.
Dabei sei es auch ein Mythos, dass sich die in den Industrieländern des Nordens wegfallenden Arbeitsplätze als cheap labour auf der Südhalbkugel wiederfänden: „Vielmehr verschwinden diese Arbeitsplätze ganz, und die Menschen sind bereit, für immer weniger und weniger zu arbeiten, um überhaupt leben zu können.“ Bildung und Schulwesen spielen hierbei eine entscheidende Rolle, doch investiert wird nur im oberen Bereich: „Grund- und Sekundarschulen sind nicht die profitabelsten Zweige auf dem Bildungssektor“, so Susan George.
Auch für sie hat die Schaffung von politischer Kompetenz in den betroffenen Ländern Priorität: „Die Welthandelsorganisation funktioniert wie ein Multiplex-Kino. Ständig laufen dort Dutzende von wichtigen Verhandlungen gleichzeitig. Kleine Länder haben oft gar nicht das entsprechende Personal, um überall präsent zu sein. Man muss also schon wissen, in welchen Film man will und wo er läuft – es ist unmöglich, alle zu sehen.“ STEFFEN GRIMBERG
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen