: Ressourcen gegen den Hunger
Anders als bei anderen globalen Themen sind sich bei der Hungerbekämpfung im Prinzip alle einig, was getan werden müsste. Sie tun es bloß nicht
von DOMINIC JOHNSON
Die Rechnung ist so einfach wie brutal. 777 Millionen Menschen in Entwicklungsländern waren zwischen 1997 und 1999 unterernährt, hat die UN-Agrarorganisation FAO (Food and Agriculture Organisation) errechnet. Zwischen 1990 und 1992 waren es noch 816 Millionen. Jedes Jahr werden es also etwa 6 Millionen Menschen weniger – viel zu wenig, um das Ziel des letzten Welternährungsgipfels von 1996 zu erreichen, die Zahl der Hungernden weltweit bis 2015 zu halbieren. Sechzig Jahre dürfte das dauern, legt man diese Zahlen zugrunde.
Würde das schneller gehen, könnten hunderte Millionen Menschenleben gerettet werden. Und es ist möglich. In mehreren großen Ländern – China, Indonesien, Nigeria – hat sich die Zahl der Hungernden verringert. Einige Länder haben erstaunliche Fortschritte gemacht: Peru, wo der Anteil der Unterernährten im Untersuchungszeitraum von 41 auf 13 Prozent sank; Tschad (Rückgang von 58 auf 34 Prozent); oder Ghana (von 35 auf 15 Prozent).
In den meisten Entwicklungsländern nimmt die Anzahl der Hungernden jedoch zu. Den Rekord hält die Demokratische Republik Kongo, wo der Anteil der Unterernährten an der Bevölkerung zwischen 1990 und 1992 bzw. 1997 und 1999 von 35 auf 64 Prozent stieg. Es folgen Nordkorea (Zunahme von 17 auf 40 Prozent) und Burundi (von 48 auf 66 Prozent). Die meisten Hungernden hat Somalia: 75 Prozent der Bevölkerung.
Der Kontrast ist augenfällig. Am schnellsten breitet sich Hunger dort aus, wo Krieg herrscht oder den Herrschenden ihr Volk gleichgültig ist. Die stärksten Rückgänge finden sich in Ländern, wo politische Stabilität wächst.
So ist die Ausgangslage des Welternährungsgipfels in Rom eigentlich eindeutig. Anders als bei zahlreichen Themen der globalen Politik sind sich bei der Hungerbekämpfung im Prinzip alle darüber einig, was getan werden müsste. Sie tun es bloß nicht.
Der Kampf gegen den Hunger ist nicht gleichzusetzen mit der Steigerung der Nahrungsmittelproduktion. Die Beispiele Peru, Tschad und Ghana zeigen: Erfolgsländer sind nicht unbedingt die, in denen es reichhaltig zu essen gibt. Experten sind inzwischen von Lebensmittelknappheit (food shortage) als zentralem Problem abgerückt und sprechen lieber von Lebensmittelsicherheit (food security). Diese definiert die FAO als „physischen und ökonomischen Zugang zu ausreichender, nahrhafter und sicherer Nahrung für alle zu jeder Zeit“.
An erster Stelle der Faktoren, die Ernährungssicherheit fördern, steht laut FAO die Verbesserung des Bildungsstandes der Frauen. Ihr Umgang mit Ernährung entscheidet darüber, ob Kinder auch bei wenig verfügbarer Nahrung überleben. Von zentraler Bedeutung sind auch die Verbesserung der Versorgung mit sauberem Wasser, die gesteigerte Produktion von Saatgut sowie die Verbesserung ländlicher Straßenverbindungen.
Es gibt keine Ausrede dafür, dies nicht zu fördern – selbst in Ländern im Krieg, deren Agrarproduktion laut FAO konfliktbedingt durchschnittlich um 40 Prozent geringer ist, als es zu Friedenszeiten der Fall wäre. So hat die Deutsche Welthungerhilfe (DWHH) im Osten der durch Krieg zerrütteten Demokratischen Republik Kongo mehrere hundert Kilometer ländliche Straßen durch die Bevölkerung wiederaufbauen lassen, auf denen Bauern Produkte in kleinstädtische Märkte bringen können. Damit wird die ländliche Wirtschaft angekurbelt; der Anreiz für mittellose Jugendliche, sich Milizen anzuschließen, sinkt.
Nach Angaben des UN-Koordinationsbüros für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) sind Investitionen dieser Art viermal effektiver für die Linderung von Hunger in Krisengebieten als direkte Lebensmittelhilfe. Doch ihre Finanzierung muss aus Entwicklungshilfeetats kommen. Und daran, dass diese Etats stagnieren, wird der Römische Gipfel wenig ändern.
Das hat nicht nur damit zu tun, dass die FAO unter den UN-Unterorganisationen eher als Leichtgewicht gilt. Auch eine mächtigere Organisation als die biedere, vor allem von Agrarexperten bevölkerte Behörde in Rom könnte nicht genug politischen Druck auf Regierungen ausüben, um die geforderte „internationale Koalition gegen den Hunger“ zu verwirklichen.
1996 hatte die FAO erklärt, zur Halbierung der Zahl der Hungernden bis 2015 seien jährliche Investitionen von 180 Milliarden Dollar in die Landwirtschaft erforderlich. Die tatsächlichen Ausgaben, so die FAO, lagen seitdem bei 150 Milliarden im Jahr. So fordert die UN-Unterorganisation nun ein „Weltprogramm zum Kampf gegen den Hunger“ im Wert von 24 Milliarden Dollar jährlich. Dieses Geld soll vor allem der Verbesserung der Infrastruktur in ländlichen Räumen armer Länder (7,8 Milliarden Dollar) sowie dem besseren Schutz natürlicher Ressourcen (7,4 Milliarden) dienen.
Eine kontroverse Debatte über diesen Vorschlag wird es in Rom nicht geben. Man wird ihn abnicken – und dann in der Schublade verschwinden lassen.
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