: This was not a lovesong
Deutschland gegen Kamerun im Sony-Center: Wie sich Berlin als fußballerische Dritte-Welt-Stadt, das Wachschutzpersonal als Verkaufsschlager und der Potsdamer Platz als urbaner Fehlschlag erweist
von UWE RADA
Es gibt Fußballspiele, die lassen sich nur aus verschiedenen Perspektiven beschreiben, vor allem wenn sie Deutschland gegen Kamerun heißen und in der ehemaligen Hauptstadt des deutschen Kaiserreichs auf Großbildleinwand übertragen werden.
Erste Perspektive
Was in Frankreich oder den USA längst Cultural Studies oder postkolonialer Diskurs heißt, firmiert hierzulande noch immer unter multikultureller Gesellschaft oder, wie im Sony-Center, unter Völkerfreundschaft. Artig haben die Center-Manager die Flaggen aller an der Fußballweltmeisterschaft beteiligten Länder im überdachten Rund anbringen lassen. Nur eines haben sie vergessen: die Deutschen unter den 3.000 Zuschauern zu bitten, im Spiel gegen die ehemalige Kolonie doch bitte die „Uh, uh, uh“-Rufe zu unterlassen. Aber wahrscheinlich hätten die sich auch davon nicht abhalten lassen. So blieb es bei der Aufforderung, bloß keine Gegenstände auf die Leinwand zu schmeißen.
Nun geht der postkoloniale Diskurs freilich auch von einem gewissen Selbstbewusstsein der ehemals Unterdrückten gegen ihre ehemaligen Unterdrücker aus. An einer solchen Waffengleichheit ließen die Kameruner Spieler von Anfang an keine Zweifel aufkommen. Nur ungern jedenfalls nahmen die „Uh, uh, uh“-Deutschen zur Kenntnis, wie Rigobert Song Oliver Kahn am Schlawittchen packte und ihm unmissverständlich bedeutete: „Lass uns mal drüber reden! Notfalls auch nonverbal!“ Vorausgegangen war eine rüde Attacke Kahns. Spätestens nach dieser Attacke Songs war klar: This is not a lovesong.
Doch sosehr sich auch die Kameruner auf dem Spielfeld mühten, so sehr fiel ihnen – rein postkolonial betrachtet – zumindest ein Anhänger im Sony-Center in den Rücken. Der hatte sich nicht nur medienwirksam mit einem Deutschen verbrüdert, sondern ihm auch noch die deutsche Fahne zu Füßen gelegt.
Zweite Perspektive
Nach der Prügelei, die sich gleich zu Beginn der Weltmeisterschaft türkische und brasilianische Anhänger im Sony-Center geliefert hatten, hieß es gestern, auf Nummer sicher zu gehen. Dafür ließen die Center-Manager alles auflaufen, was Bizeps, Schultern und Stiernacken hatte. Hinzu kamen behelmte und bekampfanzugte Polizisten, Scharen unauffälliger Zivis sowie das Center-eigene Wachpersonal.
Nun könnte man meinen, Letzteres litte angesichts der sonstigen Security an Beschäftigungsmangel. Aber nein! Konsequent vertrieb die Sony-Abwehr die Fußlahmen vom Brunnenrand und trieb sie auf die letzten freien Stühle der Center-eigenen Gastronomie zu. So ist das eben in solchen Urban-Entertainment-Centers: mit Sicherheit Profit.
Dass die Sony-eigene Abwehr nicht mehr zu tun hatte, lag aber auch an der deutschen Hintermannschaft. Vor allem in der zweiten Halbzeit ließen Metzelder und Co. nichts mehr anbrennen. So beschränkten sich auch die deutschen Fans auf Attacken aus der Kehle. Zum Beispiel: „Ihr könnt nach Hause fahrn!“ oder „Und wir holen den Pokal“. Und so weiter, wie Vorrundensieger nunmal sind.
Dritte Perspektive
Ein Spiel braucht eine Bühne. Eine solche Selbstverständlichkeit scheint im Sony-Center allerdings nocht nicht angekommen zu sein. Gerade mal drei mal drei Meter ist die „Groß“-Bildleinwand. Andere Städte haben da andere Bühnen zu bieten, Seoul zum Beispiel, wo es mehr als 20 Riesenleinwände über die ganze Stadt verteilt gibt. Oder auch Moskau, wo sich alles, was gerne Wodka trinkt und Fußball guckt, am Manegeplatz versammelt. Was die öffentliche Fußballshow angeht, ist Berlin eben Dritte-Welt-Stadt. Zumindest in dieser Hinsicht hat sich das Verhältnis der kaiserlichen Reichshauptstadt zu seinem „deutschen Schutzgebiet“ ins Gegenteil verkehrt. Selbst in Yaounde schauen mehr Fans öffentlich Fußball als in Berlin.
Und natürlich hätten sie im Falle eines Sieges ihrer grüngelbroten Löwen auch gewusst, wo sie sich im Anschluss an die Fußballübertragung treffen würden. Nicht so am Potsdamer Platz. Dort hat der Sieg der Bitburger-Truppe neben allen Kolonial- und Sicherheitsproblemen nämlich auch noch ein städtebauliches Dilemma offenbart.
Kaum waren die Fans nach dem Abpfiff nach draußen geströmt, standen sie dumm rum. Keine Bühne bot sich ihnen an, die schwarzrotgoldenen Fahnen zu schwenken. Am Potsdamer Platz selbst tobte wie immer der Verkehr, und am Marlene-Dietrich-Platz verloren sich ein paar Touristen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen