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Protest ist Pop

Andrang wie bei Madonna: 15.000 Beschäftige der Bezirke kommen für Personalversammlung zur Max-Schmeling-Halle. 3.000 müssen draußen bleiben. Klage: Rot-Rot ist Gefahr für sozialen Frieden

von RICHARD ROTHER

Die Max-Schmeling-Halle ist zum Bersten voll. Und tobt. Die 12.000 Berlinerinnen und Berliner warten aber nicht auf den entscheidenden Drei-Punkte-Wurf von Alba oder die Zugabe von Madonna. Nein, hier wird die Sparpolitik des rot-roten Senats kritisiert. Die Beschäftigtenvertreter des öffentlichen Dienstes luden gestern zu einer außergewöhnlichen Veranstaltung nach Prenzlauer Berg: eine gemeinsame Personalversammlung aller zwölf Bezirke. Es ist eine der größten Personalversammlungen in der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Gekommen sind mehr, als in die Halle passen. Rund 3.000 müssen draußen bleiben. Die Beschäftigten – zum Beispiel Mitarbeiter in Sozialämtern, Jugendeinrichtungen, Kindergärten – versammeln sich vor der Tür, halten eine provisorische Personalversammlung ab. Die Stimmung ist deutlich. Keiner will, dass die Haushaltskrise auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird. „Wir werden auf keine Lohnbestandteile verzichten“, sagt Andrea Kühnemann, Personalrätin in Schöneberg-Tempelhof. Der Sparkurs geht ihrer Ansicht nach nicht nur die Beschäftigten an, sondern alle Bürger. „Es ist ein Skandal, dass auf den Spielplätzen Geräte abgebaut und nicht mehr ersetzt werden.“

Viele in und vor der Max-Schmeling-Halle sind mit dem T-Shirt-Renner der Saison gekleidet: „Berlin ist pleite. Ich bin schuld“, steht auf schwarzem Stoff. Und die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di verteilt Fahndungsplakate. „Der Senat von Berlin bittet um Ihre Mithilfe.“ Den abgebildeten Personen werde zur Last gelegt, die öffentlichen Kassen zu plündern. Abgebildet sind eine Erzieherin, ein Sozialamtssachbearbeiter, eine Kauffrau-Azubi und eine Bibliothekarin – mit Nettoverdiensten zwischen 580 und 2.300 Euro.

Susanne Stumpenhusen, Ver.di-Landeschefin, nimmt denn auch kein Blatt vor den Mund. „Wir sehen keine Möglichkeit, die geplanten Personalkosteneinsparungen im öffentlichen Dienst umzusetzen.“ Einstimmig sei die Resolution beschlossen worden, in der die Beschäftigten Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) vorwerfen, den sozialen Frieden in der Hauptstadt zu gefährden. Rot-Rot will ab 2004 die Personalkosten jährlich um 500 Millionen Euro senken. Kitas sollen privatisiert und die Gruppenstärke soll erhöht werden. Die Gewerkschaften verlangen nun einen Tarifvertrag, der die Arbeitsbedingungen in den städtischen Kitas regelt. Weil der Senat bisher noch nicht reagierte, plant Ver.di Warnstreiks in den kommenden Wochen.

Für den 25. Juni kündigte Stumpenhusen eine gemeinsame Großkundgebung der Gewerkschaften an. Der eingeschlagene Weg von Rot-Rot werde Berlin „nicht sanieren, sondern demontieren“, heißt es in dem Aufruf. Das Regierungsprogramm sei visionslos, es kenne nur einen Weg: „Sparen, bis es quietscht.“ Im Anschluss an die Kundgebung sollen die Ostrocker der Gruppe „City“ aufspielen. In der City könnte es also Gedränge geben – fast wie vor der Max-Schmeling-Halle.

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