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Massenaudienz der Frauen

Zeitgeist hat die SPD gepackt. „100 starke Frauen“ wurden geladen, um dem Kanzler heikle Fragen zu stellen, die er – ganz Mann des letzten Wortes – diskret verwässert

BERLIN taz ■ Michaela Schmidt fühlt sich geehrt. Nominiert als eine von „100 starken Frauen“, wurde die 18-jährige Skispringerin mit den roten Haaren zum Gespräch mit Schröder in den Hamburger Bahnhof nach Berlin geladen. 105 Meter war ihr weitester Sprung. „Fliegen ist das Größte.“

So viel hat die Frauenbewegung gebracht: Selbst der Kanzler weiß, dass er die Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts umgarnen muss, damit er sie medienwirksam im Wahlkampf einsetzen kann. Geschmeichelt ist, wer zu den auserwählten Powerfrauen gehört. Im Talkshow-Setting dürfen die Geladenen dem viertmächtigsten Mann im Staat – nach Bundes-, Parlaments- und Bundesratspräsident – Fragen stellen.

Eine starke Frau sei jene, die mit dem fertig werde, was ist, antwortet Schröder auf die einleitende Frage von Amelie Fried, der Moderatorin. Ein Fauxpas. Mit einem Wortschwall korrigiert er ihn, denn als gelernter Rhetoriker weiß er, wie er es machen muss, damit Schicksalsergebenheit am Ende doch als Willensstärke verstanden wird.

Solchermaßen eingestimmt, verbreitet der Kanzler auch bei den weiteren Fragen den Eindruck, die Bundesregierung tue alles, um es Frauen recht zu machen. So scheiterten betriebliche Gleichstellungsgesetze nicht an der Regierung, sondern an der Wirtschaft. Kriegstraumatisierte oder allein Erziehende werden wohlwollend unterstützt, wenn die Sachzwänge dies nicht anderweitig verhindern, und Verbesserungen bei der Gesundheitsvorsorge, den Bildungschancen, der Pflegesituation werde er gerne prüfen.

Auf Daniela Dahns Bitte, sich nicht der Kriegslogik der USA zu ergeben, meint er, dass Krieg manchmal notwendig sei, wie Afghanistan zeige, damit es den Frauen danach besser gehe. Von allen Fragerinnen aber hört nur Hella von Sinnen vom Kanzler ein Nein. Das Gesetz, das gleichgeschlechtliche Lebensweisen regelt, werde nicht noch einmal geändert, um beispielsweise Homosexuellen auch Adoptionen zu ermöglichen. Dass Mevlüde Genc, die durch einen rassistischen Brandanschlag fünf Familienmitglieder verloren hat, sich nun in Deutschland einen türkischen Friedhof wünscht, rührt ihn dagegen an.

Obwohl die Häppchen am Ende munden, gibt es nur wenig Applaus. Hella von Sinnen aber ist außer sich. Das Nein war ein Affront. „Politikkacke“ ihr Kommentar. Und zum Abschied: „Macht euch noch ’nen schönen Abend!“

Wenigstens Helga Schmidt, die „Toilettenfrau des Jahres 2002“, Berlinerin mit Herz und Schnauze, freut sich, dass sie mal neben der von Sinnen stehen konnte. „Ich find die gut. Ich hab nichts gegen Lesben und Schwule“, erzählt die 63-Jährige. Die Veranstaltung aber fand sie nicht „so dolle“. Dass Schröder nichts zur Armut der Frauen und Kinder sagt, die doch immer schlimmer werde, stört sie. Später soll Helga Schmidt sich für Sat.1, das eine Sendung über sie macht, noch in den roten Sessel setzen, in dem der Kanzler zuvor saß.

Anders als die vielen SPD-Frauen, die ihren auf der Bühne sitzenden Meister im Halbkreis umrundeten, war auch für Judy Winter das Ganze „eine Farce“. Um Sehen und Gesehenwerden ging es. Frauen aus anderen Parteien ausgeschlossen. Schröder sei auf Fragen nicht eingegangen. Statt Antworten gab es Statements.

„Was ist denn das hier für ein miserables Licht“, moniert eine Frau vor dem Nachhauseweg auf der Toilette des Hamburger Bahnhofs und betrachtet sich missbilligend im Spiegel. „Gehst du einmal auf eine Veranstaltung der SPD, siehst du danach zehn Jahre älter aus.“

WALTRAUD SCHWAB

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