: Unglück Mobbing
Schule, in der Lehrer genügend Zeit für ihre Schüler haben, ist Prävention. Auch gegen Mobbing. Klima e.V. kümmert sich um Täter wie Opfer
von SANDRA WILSDORF
Wenn Schule und Elternhaus es nicht schaffen, Jugendliche stark zu machen, schaffen sie damit die Mobber von morgen. Die, die Kollegen krank machen, sie bis in den Suizid treiben: Der Hamburger Verein „Klima“, die „Konflikt-Lösungs-Initiative Mobbing-Anlaufstelle“ mischt sich deshalb jetzt in die Bildungsdebatte ein und nennt es „ein völlig falsches Signal, gerade jetzt Lehrerstellen abzubauen.“
Denn damit Schule neben Wissen auch Werte vermitteln kann, „brauchen die Lehrer Zeit und Kraft“, sagt Elisabeth Melzer-Geißler. Sie ist Klima-Mitglied und Religionslehrerin in Schleswig-Holstein. Werte zu vermitteln, denen der Lehrer selber nicht immer in allen Punkten entspreche, erfordere allerdings Authentizität. Und die sei mühevoller und anstrengender als ein autoritärer Unterrichtsstil.
Und neben der Kraft koste es Zeit, sich mit jedem Jugendlichen und seinen Problemen zu befassen. „Aber ein Kind, dass Schmerzen erlebt hat, die nicht beachtet werden, ist eine Lebensgefahr für die Gesellschaft“, sagt sie. Ihr ist wichtig, „dass erwachsen werden etwas mit erwachen zu tun hat“. Jugendliche sollen ihre Individualität kennenlernen, sich ausprobieren, Eigenverantwortlichkeit und Zivilcourage entwickeln. Sie sollen lernen, andere wertzuschätzen. Und, „dass dort, wo Menschen aufrecht stehen, auch Fehler gemacht werden.“
In diesem Sinne sei eine gute Schule die beste Mobbing-Prävention. Dass die nötig ist, zeigt der Zulauf von Klima: Entstanden ist der Verein vor vier Jahren mit 18 Mitgliedern, jetzt sind es 60 Betroffene und Fachleute wie Mediatoren, Pädagogen, Psychologen. „Wir haben im Monat etwa 50 Anrufe von Betroffenen“, sagt Alfred Fleissner, Klima-Mitglied und Wissenschaftler am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Unter anderem untersucht er die Auswirkungen von Mobbing auf das Gehirn.
Mobbing kommt überall vor, besonders häufig aber in Altenpflege-Einrichtungen, Kindergärten, Kirchen: „Hier arbeiten überwiegend Menschen, die nett und hilfsbereit sind und sich nicht so gerne wehren. Irgendwann können sie nicht mehr und werden dann fallen gelassen“, hat Fleissner beobachtet. Der Verein, der sich überwiegend aus Spenden finanziert, bietet Betroffenen ein „Klima-Café“, einen runden Tisch und darüber hinaus verschiedene Möglichkeiten, einzeln oder in Gruppen die Konflikte zu besprechen. Speziell qualifizierte Mitglieder führen auch Mediationen durch.
Fleissner will weg von einer Debattenkultur, in der jeder Recht haben will, hin zu einer Dialogkultur mit offenen Ergebnissen. Und so vermittelt er auch in Konflikten. „Es gibt keinen Täter und kein Opfer. Der Böse ist der, der sich nicht daran beteiligen will, das Problem zu lösen.“ Fleissner kommt ohne Schuldzuweisung aus und folgt stattdessen der These: „Dauernd passieren Unglücke.“ Deshalb bräuchte sich auch keiner bei dem anderen zu entschuldigen. Beide Seiten müssten sich aber einig darin sein, dass sie Regeln finden wollen, damit so etwas künftig nicht wieder geschieht. Experten gehen davon aus, dass jeder fünfte Suizid Mobbing als Ursache hat. Erfurt, der 11. September, „solche Dinge geschehen, wenn Menschen in eine Lage gedrängt werden, in der sie nicht mehr reden, sondern nur noch auf Rache sinnen.“ Fleissner glaubt, dass seit den Terroranschlägen vom 11. September die Hemmschwelle für solche Art von erweitertem Selbstmord gesunken ist, „da liegt eine riesige Gefahr, die wir nur eindämmen können, wenn jeder in ausweglos scheinenden Situationen reden kann“.
Denn der Mensch kann abwägen und auch erkennen, „dass ich das Feuer auspusten kann, wenn die Flamme noch sehr klein ist. Wenn ich aber auf ein großes Feuer puste, entfache ich es noch mehr.“
Infos zu Klima e.V. gibt es im Internet unter www.mobbing-abwehr.de oder telefonisch unter 040-76755498.
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