: Streik am Bau mehr als symbolisch
Heute beginnen die ersten bundesweiten Streiks im Baugewerbe seit 1945. Arbeitgeber: „Unverantwortlich.“ Streik werde tausende von Bauarbeitern arbeitslos machen. IG-BAU-Chef Klaus Wiesehügel: Nächste Woche gern wieder verhandeln
BERLIN/FRANKFURT/M. dpa/ap ■ Im Baugewerbe beginnt heute an einem symbolträchtigen Datum der erste bundesweite Streik der deutschen Nachkriegsgeschichte: Vor genau 49 Jahren, am 17. Juni 1953, traten die Bauarbeiter an der damaligen Stalinallee im Osten Berlins aus Protest gegen die Normerhöhung durch das SED-Regime in den Ausstand. Der folgende Aufstand wurde von sowjetischen Panzern niedergeschlagen.
Die Urabstimmung unter den Mitgliedern der Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) hatte am Wochenende mit 98,6 Prozent eine überwältigende Mehrheit für den Arbeitskampf ergeben. Erforderlich waren 75 Prozent der abgegebenen Stimmen. Beteiligt hatten sich insgesamt ein Drittel der organisierten Arbeitnehmer. Die Arbeit wird nach Auskunft der IG BAU zuerst im Norden, dann auch in anderen Regionen Deutschlands niedergelegt. IG-BAU-Chef Klaus Wiesehügel sagte, er rechne fest mit einem längeren Streik, der ab der dritten Woche flächendeckende Ausmaße annehmen könne. Auch Berlin solle ein Streikzentrum werden.
Die Arbeitgeber im Bausektor bezeichneten den Streik angesichts der „katastrophalen Lage am Bau“ als unverantwortlich. Der Streik werde tausende von Bauarbeitern arbeitslos machen. Der Vizepräsident der Deutschen Bauindustrie, Thomas Bauer, drohte den Streikenden mit Aussperrung. Werner Kahl vom Zentralverband des Deutschen Baugewerbes hielt der IG BAU vor, keinen ausreichenden Willen zur Einigung gehabt zu haben.
Trotz des bereits beschlossenen Streiks zeigten sich am Wochenende aber beide Seiten bereit, eine weitere Eskalation der Auseinandersetzungen zu verhindern. Wiesehügel sagte, er erwarte in den nächsten Tagen Sondierungsgespräche mit der Arbeitgeberseite, die dann in der folgenden Woche zu neuen Verhandlungen führen könnten. Auch Bauer äußerte den dringenden Wunsch nach neuen Gesprächen.
In dem seit Februar dauernden harten Tarifkonflikt waren alle Schlichtungsversuche gescheitert. Die Gewerkschaft fordert für die 950.000 Beschäftigten Einkommenserhöhungen von 4,5 Prozent. Das Angebot der Arbeitgeber lag zuletzt bei 3,0 Prozent. Streit gibt es insbesondere über die Anhebung der Mindeststundenlöhne im Osten von derzeit 8,63 Euro. Vor allem an diesem Thema war Anfang Juni auch die Schlichtung unter Vorsitz des CDU-Politikers Heiner Geißler gescheitert. PHM
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