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Unsoziale Rechenkünste

SPD und PDS vereinbarten 6.000 zusätzliche Stellen für Sozailhilfeempfänger. Nun gibt es zwar nur 1.100 mehr als letztes Jahr. Mehr habe man gar nicht versprochen, errechnet die Sozialsenatorin

„Fakt ist: SPD und PDS wollten 6.000 Stellen zusätzlich. Das haben sie nicht geschafft“

von STEFAN ALBERTI

Sozialsenatorin Heide Knake-Werner (PDS) hat indirekt eingeräumt, dass Rot-Rot in diesem Jahr eines seiner Ziele nicht erreicht. In ihrem Koalitionsvertrag haben SPD und PDS angekündigt, jährlich 6.000 Sozialhilfeempfänger zusätzlich in Arbeit zu bringen. Tatsächlich aber soll die Zahl der staatsfinanzierten Jobs gegenüber dem Vorjahr nur um voraussichtlich 1.100 steigen. Das sagte Knake-Werner gestern bei ihrer Bilanz der Haushaltsberatungen. Sie hält den Koalitionsvertrag dennoch für erfüllt. Grünen-Haushaltsexperte Oliver Schruoffeneger nannte das abenteuerlich: „Fakt ist: SPD und PDS wollten 6.000 zusätzlich, und das haben sie nicht geschafft.“

Im Haushaltsplan, den das Abgeordnetenhaus Ende Juni beschließt, sind für diese Beschäftigungsmaßnahmen unter dem Titel „Hilfe zur Arbeit“ für dieses Jahr 34 Millionen, für nächstes Jahr 42 Millionen Euro vorgesehen. Ziel ist trotz dieser Ausgaben eine Entlastung des Landeshaushalts, da sich die vormaligen Sozialhilfeempfänger nach einem Jahr arbeitslos melden können. Dann muss nicht mehr Berlin zahlen, sondern der Bund.

Im vergangenen Jahr finanzierte der Senat laut Knake-Werner 4.900 derartiger Stellen, die für 2002 verlängert wurden. Die Bezirke finanzierten 2001 weitere 4.000 Stellen, was auch dieses Jahr wieder möglich sein soll.

Allein auf diese Tätigkeit der Bezirke bezieht sich laut Knake-Werner die Steigerungsankündigung im Koalitionspapier. „Zusätzlich“ heißt demnach: 6.000 Stellen mehr als die Bezirke, nicht 6.000 über das bisher schon vom Senat Finanzierte hinaus. Andere Sichtweisen sind für Knake-Werners Sprecherin Roswitha Steinbrenner Fehlinterpretationen. Nicht nur die Grünen überzeugt das nicht. Auch der haushaltspolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Martin Matz, sah die Koalitionsvereinbarung entwertet und sprach von kurzsichtiger Einsparung.

Selbst die 1.100 zusätzlichen Jobs gegenüber dem vergangenen Jahr konnte die Sozialverwaltung nur mit einem Haushaltstrick erreichen. Sie nutzt dazu jetzt EU-Mittel, die für spätere Jahre vorgesehen waren, und hofft auf zusätzliche Mittel aus Brüssel bei Neuverhandlungen 2004. „Alle Fachleute gehen davon aus, dass es nicht weniger, sondern mehr wird“, sagte Knake-Werner gestern.

In der Gesamtbetrachtung des Sozial- und Gesundheitshaushalts zeigte sich die Senatorin zufrieden. Die wichtigsten Ziele seien erreicht, ein realistischer Haushalt aufgestellt, sagte sie. Auch die soziale Komponente hält sie für gewahrt: „Wir haben keine Absenkung der Ausgaben bei denen, die am meisten auf Unterstützung angewiesen sind.“ Für das nächste Jahr muss sie in ihrem Haushalt jedoch noch 3 Millionen Euro zusammenkratzen, die bislang unter dem nüchternen Titel „Pauschale Minderausgaben“ zusammengefasst sind. Das soll bis Herbst geschehen.

Fünf Prozent musste ihr Ressort gegenüber dem Vorjahr einsparen. Trotzdem hat nach Knake-Werners Angaben kein Projekt in ihrem Zuständigkeitsbereich schließen müssen. Die Gesamtzahl der bezuschussten Projekte wusste sie nicht zu nennen, da Zwischenstellen wie die Liga der großen Wolhlfahrtsverbände oder der Landesverband der Berliner Aids-Selbsthilfegruppen (Labas) die Fördermittel weiterleiten.

Labas-Geschäftsführer Michael Martens bestätigte, dass alle 14 bisherigen Projekte erhalten blieben. Deutliche Kürzungen habe es bereits früher gegeben. Bei der Liga gab man sich zurückhaltender: „Darüber gibt es noch keine Schlussvereinbarung“, sagte Rainer Krebs, beim Diakonischen Werk zuständig für soziale Dienste und Vertreter in Gremien des Liga-Vertrags. Das sollte frühestens bei einem Gespräch am gestrigen Abend möglich sein. Dass ein Projekt nicht schließen muss, heiße nicht, dass die Qualität die gleiche bleibe. Wenn etwa die Hälfte der Mitarbeiter gehen müsse, bleibe logischerweise weniger Zeit für die Bedürftigen. „Wo eine Mark weggeschnitten wird, wird zwangsläufig die Hilfe beeinträchtigt.“

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