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Wenn Harry Rowohlt einmal freihat

Ein exklusiver Einblick in die unerwartete Feierabendgestaltung des bärtigen Teufelskerls – So ist er wirklich

Verdammte Knochenmühle. Aber was tut man nicht alles für seine Fans?

Wenn Harry Rowohlt spätabends von der Arbeit nach Hause kommt, ist er völlig geschafft. Wen wundert’s, besteht doch seine Arbeit darin, den ganzen Tag und die halbe Nacht Harry Rowohlt zu sein – immerzu. Ein Knochenjob. Gleich morgens nach dem Aufstehen zwei ganze Flaschen feinsten irischen Whiskeys trinken, den ganzen Tag feinste irische Literatur übersetzen und abends ab zur Harry-Rowohlt-Lesung. Sechs Stunden dauert die, ohne Zugaben. Später noch schnell ein paar Harry-Rowohlt-Fans unter den Tisch saufen, und erst dann hat der bärtige Teufelskerl endlich Feierabend.

Pooh, seufzt Harry Rowohlt, schlurft ins Wohnzimmer und drückt beim CD-Spieler auf Play. „Scheiße, ‚play‘, das wird heute nicht mehr übersetzt, jetzt ist Schicht“, grummelt er in seinen Harry-Rowohlt-Bart, und schon perlt aus den Boxen feinste irische Volksmusik. „Oh Gott, nicht schon wieder, ich hab Feierabend.“ Harry Rowohlt quält sich zum Player, schmeißt die CD raus und legt die Platte ein, die er sich gestern heimlich im Saturn gekauft hat: „Missundaztood“ von Pink. Harry dreht voll auf und ist wie verwandelt. Sein Gang wird federnd, überhaupt fühlt er sich beschwingt, und schon ist er mit einigen gewagten Discoschritten ins Bad entschwunden, ob man’s glauben will oder nicht. Hier steht er vor dem Spiegel, betrachtet eingehend sein Gesicht und summt leise den Pink-Hit mit. „Every day I fight a war against a mirror“, singt Pink, und Harry fällt mit tschirpender Stimme ein: „I’m a hazard to myself“. Und dann lacht der Mann, den sonst niemand je hat lachen sehen, ganz jugendfrisch.

Harry Rowohlt beginnt sich zu entkleiden. Runter mit der verwaschenen Jeansjacke, raus aus der alten Nietenhose, weg mit dem ollen Rolli. Dann geht alles ganz schnell. Harry greift sich an den Hinterkopf, kriegt unter der Harry-Rowohlt-Mähne irgendetwas zu fassen, eine geübte Handbewegung und, zipp, öffnet sich ein langer Reißverschluß. Es scheint jetzt so, als ob sich Harrys Körper teile. Die lange Matte und der Bart, das grimmige Harry-Rowohlt-Gesicht, der ganze Harry-Body fällt nach links und rechts zu Boden. Noch eine kurze strampelnde Bewegung mit den Beinen, und Harry Rowohlt steht da, wie wir, seine Bewunderer, ihn auch noch nicht sahen, wie er aber wirklich ist: ein Mann von kaum dreißig Jahren, drahtig, elastisch, mit Waschbrettbauch, im Gesicht glatt rasiert, modische Kurzhaarfrisur. „Harry, du siehst super aus“, sagt Harry Rowohlt und deutet mit dem Zeigefinger auf sein Spiegelbild. „Äh, Sven! Nicht vergessen! Wenn ich freihabe, heiß’ ich Sven.“

Harry-Sven greift zu Boden, hebt mit spitzen Fingern den Harry-Rowohlt-Body-Suit auf, rümpft etwas die Nase (es riecht nach Irish Pub und schwarzen, filterlosen Zigaretten) und hängt seinen Arbeitsanzug sorgfältig auf den Bügel. Den letzten Harry-Rowohlt-Grimm wäscht er sich mit einer sanften Lotion aus dem Gesicht und parfümiert sich dann mit CK One. Anschließend hüpft er in die Küche. Iiih, alles voller Bushmills-Flaschen, ekelhaft. Sven ignoriert sie tapfer und gießt sich ein Glas Karottensaft ein. Gut für den Teint.

Pink singt „Get this party started“, Sven Rowohlt tänzelt schlangengleich ins Schlafzimmer und beginnt, sich anzuziehen. Für untendrunter fine Bodywear von Mey, für obendrüber ein Hugo-Hemd und den Helmut-Lang-Anzug, für die Füße edelstes Budapester Schuhwerk. Fertig. Auf den Absätzen macht Sven eine schnelle Drehung und schwingt mit seinen Hüften. Gerade jetzt ist Pink zu Ende.

Eigentlich passt das gut. Sven Rowohlts Ausgehsong ist schon seit Jahren „Paninaro“, vom 86er-Disco-Remix-Album der Pet Shop Boys. Er schmeißt es ein, es macht auch gleich Pa, Pa, Pa, Pamm, Sven kramt in einer Schublade, findet, was er sucht, und klinkt dann eine halbe E. Der Synthesizer jault gewohnt prima los, die Pet Shop Boys singen: „Girls, boys, art, pleasure, girls, boys, art, pleasure! Paninaro – oh, oh, oh.“ Oh, das ist gut, da muss man mitsingen, geht gar nicht anders. Jetzt ist Sven in echt Superausgehstimmung.

Er tritt den CD-Spieler aus, wirft dem Lowe-und-Tennant-Poster im Wohnzimmer noch eine Kusshand zu und ist schon auf der Piste. Keine hippe Bar ist vor ihm sicher, er tanzt sich durch die coolsten Clubs und chillt später in den abgedrehtesten Lounges. Dabei trinkt er keinen Tropfen Alkohol, oder, wenn’s hoch kommt, höchstens mal ein Gläschen Champagner. Er ist schließlich nicht im Dienst. Erst wenn es hell wird, kommt Sven Rowohlt wieder nach Hause, nüchtern, glücklich, frisch und fit.

Das ist natürlich gar nicht gut. „Mist, wo sind denn die Spezialtabletten?“, brummt Sven, um schon mal ein wenig für die Harry-Rowohlt-Stimme zu üben. „Die so einen tollen Kater machen.“ Er findet sie in einer Schublade, schmeißt zwei Stück ein, keine fünf Minuten geht es ihm schon schlechter. Dann nimmt Sven den Harry-Rowohlt-Anzug vom Bügel und zieht ihn an. Er muss im Harry-Rowohlt-Körper schlafen, schließlich heißt es, am nächsten Morgen möglichst verknittert auszusehen.

Pooh, ächzt Harry Rowohlt beim Aufstehen: „So, und jetzt an die Arbeit!“ Noch im Halbschlaf tapst er in die Küche und trinkt in einem Zug zwei Liter feinsten irischen Whiskeys aus. Danach geht er zum CD-Player, die Pet-Shop-Boys-CD fliegt raus, rein kommt die Scheibe mit feinster irischer Volksmusik. „Verdammte Knochenmühle. Aber was tut man nicht alles für seine Fans?“, grummelt Harry Rowohlt. Und macht sich ans Übersetzen. „Wo waren wir gestern stehen geblieben? Ach, richtig.“ Das erste übersetzte Wort lautet heute einfach: „spielen“ bzw. „Spiel“.CHRISTIAN Y. SCHMIDT

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