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Abhängen im Schaufenster

Ein Münchner Dudelsender gibt sich sozial – und verspricht demjenigen eine mietfreie Wohnung,der es nach dem Vorbild von „Big Brother“ bis heute Morgen in einem Schaufenster ausgehalten hat

aus München OLIVER HINZ

Was haben München und Manhattan gemeinsam? Nichts, bis auf die Mietpreise. Wer darauf angewiesen ist, sich in der „Bayernmetropole“ eine Bleibe zu suchen, der sieht sich mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen konfrontiert – es gibt keine Wohnungen. Und wenn, dann zu Preisen, die dem Suchenden, je nach Temperament, die Tränen in die Augen treiben oder die Faust in der Tasche ballen lassen.

Vor dem Schaufenster eines Möbelgeschäfts in München tummeln sich ein Dutzend Schülerinnen und blicken fasziniert auf die Kandidaten des „Wohnmarathons“. „Soll ich ihn fragen, ob er mir ein Autogramm gibt?“, überlegt ein begeistertes Mädchen. „Der ist doch kein Star“, antwortet entgeistert ihre Freundin. „Aber vielleicht wird er ja einer“, kontert die Erste. Da liegt sie wohl falsch. So berühmt wie die Insassen der totgesendeten Containershow „Big Brother“ werden die Teilnehmer des „Wohnmarathons“, der ersten Radiovarianten, gewiss nicht werden.Vor zwei Wochen pferchte der Stadtsender Energy fünf Kandidaten in Plastikhäuschen für Achtjährige ein. Bis heute morgen entscheiden die Radiohörer im Internet, wer aus dem Schaufenster in eine 40 Quadratmeter große Wohnung umzieht, die ein Jahr lang keine Miete kostet.

Nur den Preis habe der Sender vorgegeben, sagt Energy-Chefredakteur Stefan Ibelshäuser: „Den Modus haben unsere Hörer festgelegt. Wir haben sie gefragt, was die Leute dafür tun sollen.“ Ibelshäuser schwellt die Brust: „Wir sind der Sender mit den verrücktesten Aktionen.“ Deutsche Radiostationen hätten schon viel „Schwachsinn“ getrieben, Spiele à la „Wer am längsten im Auto sitzen bleibt, gewinnt es“. Doch Kandidaten im Schaufenster wohnen zu lassen, das sei neu.

Die Kinderhäuser der Kandidaten sind etwa einen Meter hoch und ebenso breit. Längs messen sie samt „Vorgarten“ 50 Zentimeter mehr. Regel 3 lau- tet: „Grundsätzlich darf das Wohnhaus nicht verlassen werden.“ Besonders nachts ist es eng für den 28 Jahre alten Florian, einer der beiden übrig gebliebenen Kandidaten. Drei bis vier Stunden schlafe er hier durch, sagt der Ingenieur. Er lege sich quer hin und strecke die Füße nach draußen. „Die Beleuchtung ist die ganze Zeit an.“ Dieses Wochenende sei es obendrein 35 Grad heiß im Schaufenster gewesen. Trotzdem finde er es lustig, beteuert Florian, der keine eigene Wohnung hat. „Der Preis ist ziemlich gut.“

Auch seine 23-jährige Konkurrentin Birgit macht noch gute Miene zum unmenschlichen Spiel. „Ich hatte selten so gute zwei Wochen“, erzählt die Studentin. „Die Regeln hören sich streng an, aber sie sind eigentlich nicht streng.“ Auf die Toilette dürfen beide fünf Minuten pro Stunde. Morgens und abends gibt es eine viertelstündige Pause zum Waschen. „Wir sind nicht unmenschlich“, sagt der Energy-Redaktionsleiter Ibelshäuser. Die 20 Regeln würden nicht so genau genommen.

Und tatsächlich: Birgit darf schon mal raus aus dem von einer Internetkamera beobachteten Häuschen, um sich zu ihrem Vater zu einem Krisengespräch auf die Couch zu setzen. „Kleine Annehmlichkeiten“ biete Energy außerdem seinen Kandidaten, erklärt Ibelshäuser. Dazu rechnet der Radiomann neben Fitnesstraining, Stripshow, Disco- und Schwimmbadbesuch auch einen Motivationstrainer, der die Wohnungsjäger zum Barfußlauf über Glasscherben brachte. Und der Chefredakteur reicht den Häuschenbewohnern hin und wieder das Essen à la carte selbst durchs Fenster. „Die Kandidaten haben ihren Spaß“, freut er sich. Wie toll sie es fänden, erkenne man daran, dass Tränen flössen, wenn einer rausfliegt.

Die bayerischen Medienwächter haben sich der Energy-Aktion bereits angenommen und prüfen, ob sie die Programmgrundsätze verletzt. „Bislang sind keine Probleme feststellbar“, berichtet der Sprecher der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), Johannes Kors. „Jeder kann da aussteigen.“

Es handle sich um „klassische Promotion“. Die Aufsichtsbehörde beobachtet sie aber weiter. Das endgültige Prüfungsergebnis steht noch aus. „Wir sehen dem ganz entspannt entgegen“, sagt Ibelshäuser gelassen. Schließlich hätten die Medienwächter auch beim Vorreiter und konzeptuellen Vorbild „Big Brother“ nicht eingegriffen.

Ingrid Gradl vom Möbelgeschäft Kare hat damit ohnehin kein Problem. Hauptsache, der Laden kommt „sehr, sehr penetrant“ über den Äther. Schade nur: „Ein Umsatzrun hat nicht stattgefunden.“ Die 299 Euro teuren Kinderhäuschen hatte das Geschäft ohnehin nicht im Sortiment.

Auch Energy erregte mit seiner bislang aufwendigsten Aktion noch kein großes Aufsehen. Nur eine der fünf Münchner Tageszeitungen, das Boulevardblatt tz, nahm vom Wohnmarathon Notiz. Immerhin gab es einige Fernsehbilder. Dabei hat der Sender einen Erfolg nötig. Laut der gerade veröffentlichten Jahresfunkanalyse verlor die Dampfplauder- und Dudelstation zum zweiten Mal in Folge Hörer. Vielleicht sind die aber auch einfach nur alle fortgezogen. Weit weg, in eine andere Stadt. Wo man Wohnungen findet, einfach so. FRA

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