: Meta-Peinlichkeiten
Eheliche Wutattacken, Schamgrenzen überschreitende Geschichten und eine Versicherung gegen Danebenbenehmen: Cordula Stratmann beim Kabarett-Festival
„Ganzheitliches Kabarett“, das klingt schwer nach Esoterik. Statt sich zu amüsieren, soll man hier vielleicht zusammen atmen? Andererseits wiederum ... heißt das erste, erklärt ganzheitliche Programm von Cordula Stratmann, das jetzt im Rahmen des Kabarett-Festivals im St. Pauli-Theater zu sehen war. Hier musste zwar auch gegen die Regelbeschwerden der Kabarettistin geatmet werden, vor allem jedoch sollte es dem Publikum gut gehen.
Und da half nichts besser, als gleich zu Beginn mit durch die Reihen wanderndem Bier und Erdnussflips eine heimelige Atmosphäre zu schaffen. Für den richtigen Anfang betrat Stratmann jedoch noch einmal die Bühne: Mit Federboa und gewinnendem Lächeln kündigte sie sich als „Queen of Comic“ an und umarmte ihr Publikum: „Ich liebe Sie alle!“ Und das nur, um ihre überschwängliche Show sofort zu kommentieren: „Boah, wat‘n Anfang, ne!“ Schon hatte das Publikum die Kölnerin mit unschlagbar natürlichem Charme wieder.
Meta-Einschübe dieser Art sind Stratmanns Spezialität. Darüber, wie sie sich den Anfang, die Menge an Witzen und natürlich den Schluss vorstellt – „denn das sind ja auch die Bilder, mit denen Sie nach Hause gehen.“ Daneben überschüttet sie ihren imaginären Mann Martin mit Wutattacken: Sie ist in der ersten Hälfte des Programms noch prämenstrual, er tut ihr seit Jahren Honig in den Tee. In Sekundenschnelle fährt sie von einer Stimmung in die nächste und schlüpft über zwei Stunden problemlos in die Haut von so manchem unangenehmen Zeitgenossen. Ihr Berliner Kneipengast etwa wäre real unzumutbar, als Karikatur ist er brüllend komisch. Auch ihre Peggy Pimperz ist eine Figur, die einem schon mal den Tag verderben kann: In höchsten Tönen kreischt sie ins Handy und erörtert dabei Peinlichkeiten aus dem Sexleben.
Apropos: Die tollste und sogar nützliche Idee Stratmanns ist die Peinlichkeitsversicherung. Da würde das Versicherungsgeld immer sofort dafür entschädigen, wenn man sich daneben benommen hat. Bis dahin jedoch beglückt Stratmann mit Schamgrenzen überschreitenden Geschichten und unverwechselbaren Grimassen. Nach der quäkenden Persiflage auf Michelles „Wer Liebe lebt“ („Ich brauch das Voll-Playback“), schickte Stratmann zum Abschluss noch ihre Paradefigur Annemie Hülchrath aus der Kultsendung Zimmer frei im Morgenmantel auf die Bühne. Köstlich! Liv Heidbüchel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen