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Spielverbot macht mundtot

Das Amtsgericht Altona muss erneut über die Klage einer Mieterin verhandeln, die sich durch den Lärm eines behinderten Nachbarskindes gestört und benachteiligt fühlt

Es ist nicht nur eine Frage der Erziehung, sondern auch eine der Definition: Erzeugen laut spielende Kinder im juristischen Sinne Lärm? In Altona hat die Bewohnerin eines Mehrfamilienhauses die Miete gemindert, weil sie sich durch Geräusche aus der Nachbarwohnung belästigt fühlt - verursacht von einem behinderten dreijährigen Kind. Das Amtsgericht Altona wird heute die Frage zu beantworten haben, ob der Wert einer Wohnung tatsächlich durch die Nachbarschaft eines behinderten Kindes als beeinträchtigt gelten kann.

Es ist bereits der zweite Prozess, den das Gericht in diesem Fall zu führen hat. Diesmal stehen sich die Mieterin und ihrVermieter gegenüber. Zunächst aber hatte die Frau gegen die dreijährige Laura und deren Eltern geklagt. Das Kind leidet an einer autistischen Wahrnehmungsstörung, die sich unter anderem in unwillkürlichen Wutausbrüchen äußert. Dabei schlägt die Kleine mit dem Kopf auf den Boden, trampelt herum und schreit heftig. Bei diesen Anfällen nun sollten sich die Eltern nicht nur um ihre Tochter, sondern auch noch um die Nachbarin sorgen, hatte diese verlangt: Sie fand es unzumutbar, sich die Geräusche anhören zu müssen und forderte die Eltern auf, ihre Tochter ruhig zu stellen. Ersatzweise, so die Klage, sollten sie 255. 000 Euro bezahlen.

Diesem Ansinnen hatte der Richter am Amtsgericht Altona im Dezember eine klare Absage erteilt: Kinder, belehrte er die Klägerin, könne man nicht „wie technische Geräte ausstellen“. Ihre Geräusche ließen sich auch nicht auf weniger störende Zeiten verlegen. Zwar würden auch für Eltern mit kleinen Kindern Ruhezeiten gelten. Sie müssten dafür sorgen, dass die Geräuschbeeinträchtigung der Nachbarn ein erträgliches Maß nicht überschreitet. Das aber würden die Eltern von Laura tun - im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Insbesondere bei behinderten Kindern aber könne sie kein Unterlassen der „Ruhestörung“ verlangen, hielt er der Nachbarin entgegen. Die Eltern des Mädchens hatten aufgeatmet: „Der Richter hat konkretisiert“, so der Vater im Dezember, „wie die Gesellschaft mit behinderten Kindern umzugehen hat.“ EE

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