Besatzung „bis der Terror endet“

Politiker fürchten die Kosten des erneuten Einmarschs in die Palästinensergebiete. Jerusalem investiert Millionen in den Schutz von Siedlern und verlängert die Dienstzeiten für Reservisten. Arafat ruft zur Einstellung der Selbstmordanschläge auf

von ANNE PONGER

Als Reaktion auf den Selbstmordanschlag in Jerusalem am Mittwochabend hat Israel seine Militäroperationen im Westjordanland ausgeweitet. Panzertruppen rückten am Donnerstag in Bethlehem, Nablus und in einen Vorort von Ramallah ein. Auch die Autonomiestädte Kalkilja und Dschenin blieben weiter unter israelischer Kontrolle. In der Nacht hatte die Luftwaffe zudem Ziele in Gaza bombardiert. Am Dienstag und Mittwoch waren bei zwei Terroranschlägen insgesamt 26 Israelis ums Leben gekommen.

Israel ist wieder auf dem Vormarsch in die autonomen Palästinensergebiete; diesmal in der erklärten Absicht, sie für unbegrenzte Zeit zu kontrollieren. Zusätzlich zu den steigenden finanziellen Kosten forderte die Besatzung weitere Menschenleben. Zwei Soldaten fielen bei Kämpfen in Kalkilja. Sollte Israel die Palästinensergebiete tatsächlich langfristig besetzen, wird es auch wieder die Verantwortung für grundlegende Dienstleistungen für die Bevölkerung übernehmen müssen. Bis zu den Osloer Abkommen 1993 war die israelische Zivilverwaltung im besetzten Gebiet für Wasser-, Strom- und Nahrungsmittelversorgung, Gesundheitswesen, landwirtschaftlichen Export bis hin zur Müllentsorgung zuständig gewesen. Seitdem war die autonome Palästinenserverwaltung dafür verantwortlich. Sie ist nach Zerstörung, Vandalisierung, Abriegelung und Belagerung nahezu funktionsunfähig geworden.

Die Wiedereinführung der Zivilverwaltung, zu der Israel bei kontinuierlicher Besatzung nach internationalem Recht verpflichtet wäre, würde jährlich bis zu vier Milliarden Schekel (eine Milliarde Euro) kosten, informierte Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser das Kabinett. In einem Radiointerview sprach er sich gegen eine dauerhafte Besetzung autonomer Städte, die Ausweisung von Palästinenserführer Jassir Arafat und Luftangriffe auf Palästinensergebiete aus. Hingegen müsse die Armee so lange in den Gebieten bleiben, „bis die Infrastruktur des Terrors zerschlagen“ sei.

Für die Armee bedeutet der Regierungsbeschluss zur „rollenden Wiederbesetzung“ die Mobilisierung weiterer Reservetruppen. Männer bis zum 40. Lebensjahr sollen künftig für sieben Tage länger als die bisher 30 Tage im Jahr aus Studien- und Berufsleben gerissen und für den Kampfeinsatz trainiert werden. „Bis zum Ende des Jahres wird die Armee die Reservisten für fünf Millionen Einsatztage“ zum Dienst an der Waffe rufen, berichtete Stabschef Schaul Mofas vor dem parlamentarischen Verteidigungsausschuss. Das ist nicht nur unpopulär, sondern bedeutet für die angeschlagene israelische Wirtschaft weitere schwere Einbußen. Allein zum Schutz der Siedlungen, darunter 61 illegale „Außenposten“, die rein formal nicht unterschiedlich von den bereits bestehenden 144 Siedlungen behandelt werden, wurde die Zahl der Soldaten seit Beginn der Al-Aksa-Intifada verdreifacht. Zusätzlich wurden seit Jahresbeginn mehr als eine Milliarde Schekel (250 Millionen Euro) in gepanzerte Siedlerbusse, Sicherheitszäune, elektronische Überwachungsgeräte und private Wachgesellschaften investiert. All das, „während die Fahrer öffentlicher Busse nach Wachpersonal schreien“, kritisierte der Meretz-Abgeordnete Ran Cohen. Nachdem am Sonntag mit der Errichtung von Befestigungsanlagen zwischen Israel und dem Westjordanland begonnen worden war, soll nächste Woche nun auch der Großraum von Jerusalem eingezäunt werden.

Palästinenserführer Jassir Arafat wandte sich am Donnerstag mit einem dringenden Appell an sein Volk, die Gewalt gegen israelische Zivilisten einzustellen. Jeweils zur vollen Stunde strahlte die „Stimme Palästinas“ die Ansprache Arafats aus. Die entsprechende Fernsehübertragung scheiterte „aus technischen Gründen“, wie der Sender mitteilte.

Bereits am Vortag hatten 55 palästinensische Intellektuelle und Politiker zu einer sofortigen Einstellung der Selbstmordattacken aufgerufen. Beobachter fürchten, dass die radikalen islamischen Gruppen den Aufrufen nicht nachkommen werden, sondern dass sie sogar ein Interesse an einer erneuten israelischen Besatzung haben könnten, die politische Prozesse ausschließen würde. Zu einem der letzten Attentate hatte sich die Fatah-nahe Bewegung der Al-Aksa-Brigaden bekannt.