: Vom Kraut rausgeschossen
Fußball-WM auf XXL-Leinwand: Der Jubel auf Rathausmarkt und Spielbudenplatz hält sich in Grenzen. Skandal: Für die US-Nationalhymne gibt es Pfiffe. Nur Senator Mario Mettbach genießt das Ganze
von PETER AHRENS & OKE GÖTTLICH
Der Rathausmarkt war zuletzt nur einmal so voll gewesen wie gestern. Kurz nach dem 11. September, als der Bürgermeister mit zehntausend HamburgerInnen Solidarität mit den USA beschworen hatte. Gestern war auf demselben Platz Schluss damit. Pfiffe für die amerikanische Nationalhymne: Es ist Fußball-WM.
Es fängt gut an. Eine Stunde vor Anpfiff erzählt einer mit einer deutschen Fahne im Gesicht jedem, der es nicht hören will, dass andere Länder viel unbefangener mit ihrem Nationalstolz umgehen. Nebenan erklärt eine ihrer Freundin, dass sie das Anmalen von Brüsten eher eklig findet. Im Spannungsfeld dieser beiden interessanten Themen hat derweil NDR-Radioreporter Norman Hild die Bühne neben der Großbildleinwand erklommen und will jetzt schon immer wieder „das Lied der Sieger“ hören. Prompt erklingt „We are the Champions“, und Hild findet es „sensationell“, dass so viele Leute da sind. Fußball-Idol Horst Hrubesch lässt vorne noch ein paar Autogramme Paroli laufen und tippt einen klaren deutschen Sieg. Dagmar Berghoff ist auch schon da und hat sich in schwarz-rot-gold gekleidet. Die Stimmung ist folgerichtig bombig. Wir schalten um zum Spielbudenplatz.
Es ist kurz nach halb eins. Der Spielbudenplatz füllt sich. Immer mehr schwarz-rot-gold-berockte, -hosenträgertragende Freunde deutscher Kickkunst wärmen sich unter Zuhilfenahme von WM-Schlagern Marke „Es gibt nur einen Rudi Völler“ für das USA-Spiel auf. Die Fußballparty steigt. Dazwischen Wurst vom Schwenkgrill und natürlich Bier. Stars und Stripes sieht man, wenn überhaupt, nur vereinzelt. Warum nur? Die Show ist amerikanisch. Wie sieht es auf dem Rathausmarkt aus?
Pünktlich zum Anpfiff stellen die VeranstalterInnen fest, dass das Fernsehbild im VIP-Zelt hinter der Bühne unbrauchbar ist, weil das Tageslicht zu sehr spiegelt. Also muss die gesammelte Prominenz samt Bürgermeister und Heidi Kabel nach vorn unters Volk vor die Großbildleinwand. Jubel gibts während der ersten halben Stunde nur einmal, als der Ton nach einem kurzfristigen Ausfall wieder da ist. Dann das Führungstor. Alles freut sich, und Schill-Senator Mario Mettbach steht allein auf der NDR-Bühne wie auf einem Feldherrnhügel und nimmt die Ovationen der Massen entgegen. Norman Hild findet es sensationell. Dann ist Pause, Heidi Kabel darf sagen, dass es ihr egal ist, wie hoch Deutschland gewinnt, und Dagmar Berghoff schminkt nach. Zurück zum Kiez.
Hier versucht Walter H., Menschen auf der Reeperbahn für seine Show zu interessieren: „Gucken darf ich nicht. Muss arbeiten.“ Der Türsteher des Showcenter 66 lenkt ab: „Unser Stern aus Rio tanzt gerade“, lockt er. „19 Jahre alt. Komm, guck mal rein. Ist doch noch eine halbe Stunde bis zum Spiel.“ Ausgerechnet der McDonalds-Globalisierungstempel nebenan textet „Verputzt die Amerikaner“, es gibt „Schießburger“. Zurück zum Rathaus.
Rechtzeitig zur zweiten Halbzeit hat auch das VIP-Zelt einen Fernseher mit Sichtschutz. Dem Bürgermeister entfährt beim Gucken ab und an ein „das gibt es doch gar nicht“. Norman Hild fällt auch nichts mehr ein, die Masse zu stimulieren. Dann Abpfiff, zum rechten Jubeln fehlt den Leuten nach diesem Spiel die Lust. Der NDR legt trotzdem „We are the Champions“ auf, einige traktieren lustlos ihre Autohupe. Das VIP-Zelt ist leer, nur eine einsame Heidi Kabel sitzt noch dort. Sie schaut ein wenig bekümmert drein. Nochmal nach St. Pauli.
Intimer als auf dem Spielbudenplatz geht es im Glasvorbau des Florida The Art Hotel zu. Eine Klasse der Design-Factory hat sich Plätze reservieren lassen. Gemeinsam lässt es sich netter über das Aussehen der Nationalspieler lästern. Sehr zum Ärger eines Geschäftsmannes, der in Ruhe Fußball gucken will. „Setzt euch jetzt endlich mal hin. Ist schon gnädig genug, dass ich überhaupt gemeinsam mit Frauen Fußball gucke“, raunzt er. Wenigstens kann er etwas sehen. Alexandra Zielinski, Barfrau im St.Pauli-Theater, hat ihren Stand direkt hinter der Leinwand. Dafür hat sie die schwarz-rot-goldenen Freudentänze direkt vor der Nase. Auf die wird sie bei den kommenden Übertragungen auch noch verzichten müssen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen