: Hits aus den Bühnencharts
Theatralisches Allerlei beim 22. Norddeutschen Theatertreffen in Oldenburg: „Klassiker heute“ stehen auf dem Programm, mit dem man junges Publikum für alte Stücke erschließen will. Oft zeigen die Neu-Inszenierungen aber nur viel Lärm um nichts
„Klassiker heute“ ist das Motto des 22. Norddeutschen Theater- treffens, das noch bis einschließlich Sonntag im Oldenburgischen Staatstheater stattfindet. Doch was ist ein Klassiker überhaupt? Gelten die drögen Definitionen, die von „Mustergültigkeit“ und „vollendeter Gestalt“ tönen? Oder trifft es Rainald Goetz, wenn er postuliert, ein Klassiker sei das selbe wie Pop? Und das wäre also im besten Falle: ein Hit,
Der Blick auf die Playlist des 226.000 Euro teuren Festivals in der Hunte-Stadt lässt rasch erkennen, dass die Veranstalter in dieser Frage die goldene Mitte wählten. Werke von Schiller und Shakespeare stehen hier neben einem Loriotabend und der Cinema-Comedy „Frank & Stein“ auf dem Programm. Vicco von Bülow findet sich hier auch – unter den von Oldenburger Kunststudierenden aus Pappelholz gehauenen Dichterbüsten, die vor dem Theater Spalier stehen. Der Mann mit dem Jodeldiplom hat es offenbar geschafft: Er ist ein lebender Klassiker.
Ansonsten gibt sich die Bühnenkunst beim Theatertreffen offen und verspielt. Selbst die Schirmherrin der theatralischen Dichtkunst, Thalia, schippert zur Eröffnung lieber mit dem Intendanten des Staatstheaters, Rainer Menniken, über den Stadtgraben, als den standesgemäßen Auftritt im Musentempel zu zelebrieren.
Ein Akt des Aufbäumens gegen die Krise in der Branche? Das Rahmenprogramm mit Karaoke, Pop- und Jazzkonzerten sieht zumindest nach einem gezielten Versuch aus, Berührungsängste mit Klassik abzubauen und, bitteschön, ein neues Publikum zu erschließen. Menniken dazu: „Wir wollen schließlich kein subventionierter Spezialistenclub werden.“
Theatermacher sind im Grunde eben auch ganz normale Menschen. So musste gleich das erste Arbeitstreffen des festivalbegleitenden Workshops verschoben werden, weil die deutsche Elf bei der WM kickte.
Apropos Fußball: Auch Werther wünschte viel Spass bei der Weltmeisterschaft, als er seine Lotte verließ. Das steht zwar so nicht wörtlich bei Goethe, in der spritzigen Ein-Mann Inszenierung des Briefromans, die das Schauspiel Hannover beim Theatertreffen vorstellte, war dies für den mitreißend agierenden Phillip Hochmair aber kein Hinderungsgrund.
Von Lou Reed ist beim Dichterfürsten schließlich auch nicht die Rede und dennoch schwelgte der weimarer Schwärmer in „Werther!“ in den Klängen von „Perfect Day“. Dagegen nimmt sich die Umsetzung von Wolfang Borcherts „Draußen vor der Tür“ durch das Theater Vorpommern beinahe bieder aus. Das Nachkriegs-Dekor belässt die Trümmerliteratur in der Vergangenheit. Der Text allerdings ist mit seinem geballten Sarkasmus immer noch packend.
Dass Modernisierung nicht immer der direkte Weg in den Unterhaltungs-Olymp sein muss, zeigt hingegen „Der Widerspenstigen Zähmung“ in der Variante der Vorpommerschen Landesbühne Anklam. Ein anderer Shakespeare-Titel mag die dargestellte Problematik zusammenfassen: Viel Lärm um nichts. Bunte Bilder, Beatles-Songs und der Einsatz von Gameboys in einer Liebesszene machen eben noch lange kein zeitgemäßes Theater.
Die Bandbreite der Produktionen von insgesamt 24 Bühnen aus dem Nordwesten macht jedenfalls deutlich, dass das Thema „Klassiker“ noch längst nicht ausgereizt ist. Und damit wären wir wieder beim Pop-Paten Rainald Goetz. Der nämlich stellte fest, einer der Vorteile an der Bekanntheit von Klassikern sei, dass jeder Depp damit machen könne, was er wolle. Hitverdächtig, oder?
Christoph Kutzer
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