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Nicht nur ein Phänomen der kirchlichen Inquisition, sondern auch der modernen weltlichen Gerichtsbarkeit: Eine Ausstellung des Deutschen Historischen Museums präsentiert die Relikte der Hexenverfolgung der frühen Neuzeit im Kronprinzenpalais
von ANSGAR WARNER
Eine „Achse des Bösen“ durchzog in den Augen der Zeitgenossen das krisengeschüttelte Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. Der Schrecken hatte einen Namen: Vom bösen Blick, Verwünschungen und Verhexungen bis zu Teufelsbündlern, Wolfsmenschen und Leichenfressern reichte das Spektrum des damaligen Bedrohungsszenarios. Ebenso drastisch waren die Folgen: Die Scheiterhaufen hörten für viele Jahrzehnte nicht mehr auf zu brennen.
Das Deutsche Historische Museum geht nun dem Phänomen Hexenverfolgung und seinen Ursachen in einer im Kronprinzenpalais eröffneten Ausstellung nach. Ungefähr die Hälfte aller Hexenverbrennungen fand auf deutschen Territorien statt: Für die Ausstellungsmacher um Kuratorin Rosmarie Beier-de Haan ein guter Anlass, sich hierzulande mit der kulturgeschichtlichen Einordnung dieses frühen deutschen Sonderwegs zu beschäftigen. Das Konzept der Hexen-Schau wurde vom Luxemburger Musée d’Histoire übernommen – inklusive der dort gewählten gesamteuropäischen Ausrichtung.
Bereits den Luxemburger Museumsleuten war an einer möglichst breiten Absicherung der Fakten gelegen. Denn ein wichtiges Ausstellungziel ist es, gängige Vorurteile über die Hexenverfolgung geradezurücken. So erfährt man zum Beispiel: Einen frühneuzeitlichen „Hexenholocaust“, dem angeblich Millionen Menschen zum Opfer gefallen sein sollen, hat es nicht gegeben. Die Zahl nachgewiesener Hinrichtungen liegt zwischen vierzig- und sechzigtausend für den gesamten Zeitraum von 1430 bis 1780. Eine gezielte Massentötung heilkundiger Frauen, um aus bevölkerungspolitischen Gründen das Wissen über Empfängnisverhütungs- und Abtreibungstechniken zu vernichten, lässt sich ebensowenig nachweisen. Eine weitere Einsicht, die gleich zu Beginn des abwechslungsreichen Ausstellungsparcours vermittelt wird: Jede vierte Hexe war ein Mann.
Abgesehen von solch plakativen Hinweisen haben die museumdidaktischen Spin-Doctors das Themengebiet getreu einem zeitgenössischem Motto in drei Bereiche aufgeteilt: „Beten, läuten, brennen“. Breite Darstellung findet neben den juristischen Aspekten der Hexenprozesse die uns mittlerweile sehr fremde Vorstellungswelt der Menschen am Beginn der Moderne. Die Ausstellung dokumentiert das zum Beispiel anhand von magischen Zeichen auf Türschwellen und Kaminplatten, die ungebetenen Besuch böser Geister verhindern sollten. Aber auch Talismane aller Art werden präsentiert: Sargnägel zum Berühren von Pickeln, Heiligenbildchen zum Aufessen, Amulette aus menschlichen Schädelplatten. Wie aktuell solche volksmagischen Vorstellungen sein können, zeigt die Geschichte einer Transportkiste mit der Aufschrift „Achtung Schwarze Magie“, in der das Pariser Volkskundemuseum solche „verhexten“ Gegenstände aufbewahrte. Als die Kiste in die Luxemburger Vorläuferausstellung gebracht werden sollte, weigerten sich die Depotarbeiter, sie zu berühren. So musste die Kuratorin schließlich selbst Hand anlegen – mit welchem Amulett sie sich geschützt hat, wird allerdings nicht verraten. Im Kronprinzenpalais spielt man bewusst mit den Gruselgewohnheiten der Besucher. Viele Räume sind verdunkelt, verwinkelt, mit Schleiern abgehängt, die allerdings zum Teil das Lesen der Raumtexte erschweren. Dazu rieseln von Deckenlautsprechern Klangcollagen aus Tierlauten, Gestöhne und Flammengeprassel.
Was heutzutage höchstens noch für die Plots von Mystery-Serien reicht, war vor drei bis vier Jahrhunderten ein Kapitalverbrechen. In der frühen Neuzeit wurde nicht nur eifrig das spätantike römische Recht studiert, sondern auch die antike Dämonologie. So war die Grundlage für die Rechtfertigung strafrechtlicher Verfolgung von Hexereidelikten gelegt – inklusive Folter. Noch heute besitzt der besonders frauenfeindliche „Hexenhammer“ des Heinrich Institoris einen gewissen Bekanntheitsgrad. Doch auch ein angesehener französische Staatsrechtler, Jean Bodin, erlag dem Zeitgeist: Seine Schrift über die „Dämonomanie der Zauberer“ war ein dezidiertes Plädoyer für die Hexenverfolgung.
Präsentiert in den schummrigen Vitrinen des Kronprinzenpalais, sehen die alten Schmöker recht harmlos aus – wären da nicht die beunruhigenden Geräusche, die den Betrachter auch hier umschwirren. Die Ausstellungsmacher betonen bei dieser Gelegenheit: Die opferreichen Hexenprozesse sind kein Phänomen der kirchlichen Inquisition, sondern der modernen weltlichen Gerichtsbarkeit. Allerdings ging die direkte Initiative nicht unbedingt von der professionellen Justiz aus, sondern zumeist von Verdächtigungen auf lokaler Ebene. Profane Streitigkeiten zwischen Nachbarn endeten oft in folgenreichen Denunziationen. Auf Dorfebene bildeten sich „Hexenausschüsse“, die unkontrolliert ihr Unwesen trieben und missliebige Nachbarn an den Pranger stellten. Oft standen dabei ungeachtet des real existierenden Hexenglaubens ökonomische Interessen im Vordergrund: Das Vermögen der Verurteilten wurde selbstverständlich zur Deckung der Prozesskosten eingezogen. Doch auch so mancher kleine Landadlige nutzte gern den virulenten Massenwahn, um durch konsquente Prozessführung die Kompetenz für die Kopf- und Halsgerichtsbarkeit zu behaupten.
Wie man dem informativen, jedoch teilweise teuflisch gelayouteten Ausstellungskatalog entnehmen kann, ist das Ende der Hexenverfolgung somit nicht so sehr plötzlich zunehmender Vernunft zu verdanken. Grund dafür war viel eher das Einschreiten der absolutistischen Territorialherrscher gegen die juristisch nicht ausgebildeten Laienrichter vor Ort, deren traditionelle Befugnisse zur Lynchjustiz ausgeartet waren. Der Übergang zu aktuelleren Formen von Massenhysterie und Verfolgungswahn verlief im Übrigen nahtlos: Nur wenige Jahre trennen die letzten urkundlich erwähnten Hexenprozesse um 1780 von der Schreckensherrschaft der Guillotine während der Französischen Revolution.
Die Hexenausstellung geht noch bis zum 6. August, Öffnungszeiten täglich außer Mi. 10–18 Uhr, Do. bis 22 Uhr. Kronprinzenpalais, Unter den Linden 2–3, Mitte. Eintritt frei. Begleitband mit Ausstellungskatalog 22 €
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