: Quietschvergnügter Fatalismus
DAS SCHLAGLOCH von KLAUS KREIMEIER
„Es findet nach meiner Überzeugung langfristig insgesamt eine Amerikanisierung der politischen Verhältnisse statt.“ Klaus-Peter Schmidt-Deguelle, Medienberater
In dieser Woche wird ein Buch mit einem Beitrag Klaus-Peter Schmidt-Deguelles erscheinen, in dem uns der Medienberater Hans Eichels – zuvor Tagesschau-Leiter beim Hessischen Rundfunk, Vox-Chefredakteur und Regierungssprecher in Hessen – erklären wird, wie Politik in den Medien funktioniert, warum sie so funktioniert und was zu tun sei, um das Beste daraus zu machen. Da die Frankfurter Rundschau am Wochenende einen (aktualisierten) Vorabdruck brachte, ist es möglich, Schmidt-Deguelles Aufsatz einer vorläufigen Textkritik zu unterziehen.
Der Autor will uns davon überzeugen, dass der Beruf des politischen Medienberaters unter dem Diktat der „hyperhektischen“ Mediengesellschaft notwendig und zukunftsträchtig sei. Deutschland sei in diesem Punkt ein „Entwicklungsland“; es gelte, verlorenen Boden gutzumachen. Um mögliche Einwände zu entkräften, verwendet Schmidt-Deguelle eine markante, seinen Beitrag leitmotivisch bestimmende Redefigur, mit der er die Unabänderlichkeit der Verhältnisse beschwört. Die Medialisierung der Politik „mag man beklagen“, sie sei „aber kaum zu ändern“. Es helfe „kein Lamentieren“ – die „jüngere Journalistengeneration“ habe nun einmal die Recherche durch Nachplappern ersetzt. Die „Kernerisierung“ auch des öffentlich-rechtlichen Fernsehens sei „kaum aufzuhalten“.
Ich ordne diese Redefigur einer rhetorischen Technik des quietschvergnügten Fatalismus zu. Mit diesem Redegestus steht der Medienberater Schmidt-Deguelle keineswegs allein. Vielmehr werden alle dominanten Diskurse seit einiger Zeit von einer großen Erzählung bestimmt, die uns glauben machen will, dass wir uns in einer Art Raumschiff befinden, dessen Route und Ziel wir nicht beeinflussen können. Egal, ob von der Globalisierung, vom Primat der Ökonomie über die Politik, von der Privatisierung der öffentlichen Aufgaben, von der Beschleunigung der „Informationsspirale“ oder von der Verdrängung der Inhalte durch die Quote die Rede ist – die Rede selbst wird vom Topos der Unaufhaltsamkeit beherrscht. Da hilft kein Lamentieren.
Nun würde man es sich zu leicht machen, wenn man den Meistern des fidelen Fatalismus einfach nur entgegenhalten würde, sie seien auf dem falschen Dampfer. Dieser Vorwurf würde sie schon darum nicht überzeugen, weil sie in der Regel mit dem Kapitän oder dem Steuermann (in diesem Fall mit Eichel) im Bunde sind und gar keine Ursache haben, ihre persönlichen Verhältnisse zu beklagen. Aber es wäre auch zu kurz gegriffen, wollte man gegen die Rede von der Unabänderlichkeit des einmal eingeschlagenen Kurses die andere große Erzählung aufs Neue aktivieren: die Rede der europäischen Aufklärung von der Entscheidungsfreiheit des politischen Menschen und vom menschengewollten, menschengemachten Sosein der Dinge. Die Fatalisten von heute sind weder Gegenaufklärer noch Anhänger eines vorrationalen Schicksalsmythos. Sie sind, wie wir alle, Urenkel der Aufklärung und stehen in ihrer Tradition, die überaus ambivalente Konzepte hinterlassen hat. Zu den besonders bemerkenswerten Konzepten aufklärerischen Denkens gehört das von der Gesetzmäßigkeit sozialer Tatbestände und historischer Abläufe.
„Eine andere Welt ist möglich!“, antwortet auf solchen Determinismus eine Organisation wie Attac. Das ist sympathisch, bedarf indessen der Überprüfung. Eine andere (vernünftigere) Welt ist möglich, weil sie denkmöglich ist – und darum auch realisierbar: so der Kern der Argumentation. Gegen den Determinismus der Vergnügten setzt Attac die Denk-Willkür der Missvergnügten; so stehen sich wieder einmal unversöhnlich zwei Konstruktionen gegenüber. Beiden ist derselbe Wahrnehmungsfehler eingebaut.
Beide übersehen, dass der gegenwärtigen Lage eine lange Reihe gewollter, aber zukunftsblinder Einzelentscheidungen vorausgegangen ist. Stets galt es, die Weichen (politisch, wirtschaftlich, sozial, national und im internationalen Rahmen) für eine begrenzte Periode zu stellen. So wurden Tatsachen geschaffen, deren mittel- und längerfristige Konsequenzen unabsehbar waren. Beispiel Zuwanderungspolitik: Kein europäischer Migrationspolitiker der 60er-Jahre „wollte“ die jetzt nahezu vollendete Abschottung Europas – ebenso wie keiner von denen, die heute an der europäischen Festung zimmern, vorhersagen oder gar bewusst „wollen“ kann, wohin diese Politik tatsächlich führen wird. Das wirft ein trübes Licht auf die Hoffnung der Kontingenzverfechter, dass eine „andere Welt“ jederzeit machbar sei. Aber auch die fröhlichen Apostel der Unaufhaltsamkeit kommen nicht ganz heil davon.
Vordergründig hat Medienberater Schmidt-Deguelle die Tatsachen auf seiner Seite. Keineswegs ist die Abhängigkeit unserer Politiker von „Spin-Doctors“, die ihren Satzbau, ihre Mimik und ihre Krawatte kontrollieren, noch einmal rückgängig zu machen – ebenso wenig wie die Digitalisierung der Informationstechnik (mit ihren unbestreitbaren Vorteilen), die Kommerzialisierung der Unterhaltung (mit ihren Dummheiten, aber auch ihren Überraschungseffekten) oder die „Kernerisierung“ des Fernsehens. (Kerner ist übrigens kein schlechter Fußballmoderator; es wäre nichts dagegen einzuwenden, wenn sich manch politischer Moderator von seiner Sprachbeherrschung anstecken ließe.)
Gleichwohl muss man mit Schmidt-Deguelles Fatalismus hadern, wenn man die Karriere des Mannes betrachtet. Zumindest ist er als Medienmacher im öffentlich-rechtlichen, dann im privaten Fernsehen, als Regierungssprecher und amtlich bestellter Medienpolitiker, derzeit als freischaffender Medienberater bestens darüber informiert, wie die von ihm als unabänderlich dargestellte Entwicklung zustande gekommen ist. Eine Kette gewollter, aber zukunftsblinder Einzelentscheidungen: Mitte der 80er-Jahre das politische Votum für das „duale“ Fernsehsystem. Einige Jahre später die Angriffe konservativer Politiker auf die Existenz des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Und spätestens seit Anfang der 90er-Jahre hunderte von offenen oder verklausulierten Einzelentscheidungen in den Intendanzen, Hauptabteilungen und Redaktionen von ARD und ZDF, die auf eine sehr erfolgreiche Anpassung unserer Fernsehöffentlichkeit an die Marktlogik hingearbeitet haben.
Kein Entscheider „wollte“ das, was wir heute haben: eine „hyperhektische“, von Schminke, Beleuchtung und hastig heruntergehaspelten Phrasen beherrschte politische Öffentlichkeit. Aber jeder hat mit gutem Gewissen zu ihr beigetragen. Zu Verhältnissen, die in der Tat den politischen Medienberater zum existenznotwendigen Phänomen unserer Kultur promoviert haben. Kurzsichtigkeit und -fristigkeit bestimmen den Rhythmus unserer Ökonomie, unserer Politik, unserer gesellschaftlichen Institutionen. Dafür sind weder Entscheidungsträger noch Spaßmacher pauschal haftbar zu machen. Aber ihr Gerede von der Zwangsläufigkeit der Dinge taugt nicht viel, solange sie von ihr profitieren – und es eigentlich besser wissen müssten.
Fotohinweis: Klaus Kreimeier ist Publizist und Medienwissenschaftler.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen