: Globalisierung als Ansichtssache
Enquetekommission fordert Bundestag auf, sich stärker in Entscheidungen internationaler Organisationen einzumischen. Mehrheit empfiehlt Tobin-Steuer. Bei der Beurteilung von Globalisierung gibt es Differenzen zwischen den Fraktionen
aus Berlin KATHARINA KOUFEN
Ob Globalisierung den Armen hilft oder schadet – diese Gretchenfrage lässt sich mit genau den gleichen Fakten unterschiedlich beantworten. Das zeigt der Abschlussbericht der Enquetekommission Globalisierung, der morgen dem Bundestag vorgelegt wird, deutlich. Darin nehmen 13 Abgeordnete aller Fraktionen sowie 13 Sachverständige Stellung zu den „Herausforderungen der Globalisierung“. Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte die Kommission vor zweieinhalb Jahren eingesetzt. Die Globalisierung birgt „Chancen, die noch stärker gefördert“, und „Risiken, die deutlich verringert“ werden müssen, so weit sind sich die Mitglieder der Kommission noch einig. Was die Fraktionen – wenig überraschend – unterscheidet: Die CDU/CSU-Abgeordneten monieren, der von den Regierungsparteien dominierte Bericht „stellt an vielen Stellen die heutige Situation der Welt negativer dar, als sie ist“. In Wirklichkeit hätten die Menschen den Globalisierungsprozess in ihrem Sinne gestaltet und damit ihre Lebensverhältnisse „vielfach verbessert“.
Als Argumente führen die Christdemokraten an, dass das Welteinkommen höher ist als jemals zuvor, dass der Anteil der Armen sinkt, dass die Zahl der Beschäftigen weltweit steigt und dass die Menschen gesünder sowie besser ausgebildet sind als früher. Im Mehrheitsbericht lesen sich die gleichen Faken so: Das Welteinkommen ist immer ungleicher verteilt, immer noch lebt fast die Hälfte der Menschen in Armut, sind über eine Milliarde Menschen ohne legale Arbeit und hunderte Millionen Kinder haben keine Chance, jemals eine Schule zu besuchen.
Trotz solcher Differenzen bei der Beurteilung der Globalisierung hat die Kommission ihre Empfehlungen an die Bundesregierung meist einstimmig abgegeben. „Über 200 konkrete Handlungsanweisungen“ hat die Grünen-Abgeordnete Annelie Buntenbach gezählt. Dazu gehört, dass sich der Bundestag in internationale Entscheidungen, etwa im Rahmen der Welthandelsorganisation, stärker einmischen soll. „Die Abgeordneten müssen sich im Vorfeld informieren, statt nur die fertigen Beschlüsse abzusegnen“, so Buntenbach. Dazu gehören auch Verhaltenskodizes für Firmen, die soziale und ökologische Mindeststandards vorschreiben. Die Kommission empfiehlt darüber hinaus (allerdings gegen die Stimmen der Oppositionsabgeordneten), zur besseren Regulierung der Finanzmärkte die Tobin-Steuer einzuführen, jene umstrittene Steuer also, die bei Devisenumsätzen fällig wird.
Den Grünen besonders wichtig sei der Schutz öffentlicher Güter gewesen. „Sauberes Wasser zum Beispiel ist ein öffentliches Gut, das nicht von rentabler Finanzierbarkeit abhängen darf.“ Bevor im Wassersektor weiter privatisiert werde, müssten erst einmal die Folgen früherer Privatisierungen analysiert werden, fordert Buntenbach.
Der Bericht wird demnächst als Buch erscheinen und soll in Parteien, Nichtregierungsorganisationen, Schulen und Universitäten diskutiert werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen