: Der große Plan schrumpft
von DOMINIC JOHNSONund MARTINA SCHWIKOWSKI
Afrika ist nach offizieller Darstellung das wichtigste Thema des heute beginnenden Gipfeltreffens der sieben größten Industrienationen sowie Russlands (G-8) in Kanada. Auf dem Programm steht die Verabschiedung eines umfassenden G-8-Aktionsplans für Afrika, mit dem eine Zusage des letzten Gipfels in Genua 2001 konkretisiert werden soll, die Tony Blair damals als „eine Art Marshall-Plan“ beschrieben hatte.
Aber heute ist davon wenig zu bemerken, und Südafrikas Wirtschaftszeitung Business Day verhöhnt Blair als „Afroholiker“. In Genua hatten die G-8-Staaten beschlossen, einen panafrikanischen Entwicklungsplan zu unterstützen, der damals noch „Millennium Africa Recovery Programm“ (MAP) hieß und inzwischen zur „Neuen Partnerschaft für Afrikas Entwicklung“ (Nepad) mutiert ist. Beim Kanada-Gipfel sollten konkrete Maßnahmen dazu vorgestellt werden. Weltbank und Internationaler Währungsfonds forderten einen massiven Schuldenerlass, bei unzähligen Treffen wurde die Notwendigkeit einer stark erhöhten Entwicklungshilfe betont.
„Keine Entschuldung, keine Mittelvergabe“ werde der G-8-Gipfel beschließen, sagt nun aber Uschi Eid, Beauftragte des Bundeskanzlers für die Ausarbeitung der Afrika-Initiative und grüne Staatssekretärin im Entwicklungsministerium: „G-8 ist keine Geberkonferenz.“ Es gehe lediglich um eine „vertiefte Partnerschaft mit den afrikanischen Staaten, die ihre politischen Willenserklärungen umsetzen“.
Ehrgeiziger Ansatz
So weit war man vor einem Jahr auch schon, und die Präsidenten von Ägypten, Algerien, Nigeria, Senegal und Südafrika, die zu den G-8-Gesprächen nach Kanada reisen, dürften enttäuscht sein. Sie sind federführend bei der Erarbeitung des ambitioniertesten Entwicklungsplanes, den Afrika sich je gegeben hat: Der Nepad, eine Willens- und Grundsatzerklärung zugleich, die den Weg des Kontinents zur politischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesundung abstecken und diesen in „echter“ Partnerschaft mit dem Rest der Welt beschreiten soll.
Das Nepad-Papier stellt fest, Afrika benötige ein Wirtschaftswachstum von mindestens 7 Prozent pro Jahr, um die von der UNO festgelegten Entwicklungsziele – zum Beispiel die Halbierung der Zahl der Armen bis 2015 – zu erfüllen. Das Erreichen dieser Wachstumsrate setze nicht nur mehr Geldzuflüsse von außen voraus, sondern auch politische Reformen in Afrika selbst und Frieden. Unter dieser Voraussetzung könnten Investitionen in allen ökonomischen Bereichen – das benötigte Geld beziffert Nepad mit 64 Milliarden Dollar zusätzlich pro Jahr – Afrika „auf den Pfad nachhaltiger Entwicklung stellen und damit die Marginalisierung Afrikas in der Globalisierung aufhalten“, wie es heißt. „Nepad“, sagt Dave Malcomson im Nepad-Sekretariat in Johannesburg, „ist eine Vision, ein Aktionsprogramm für die nächsten zwanzig Jahre.“
Die Selbstverpflichtung afrikanischer Politiker zu Demokratie, Marktwirtschaft und „guter Regierungsführung“ und die Hinwendung zu privatem Kapital ist die Neuheit. Die Initiative, so Senegals Präsident Abdoulaye Wade, ziehe die Konsequenz aus dem Scheitern der „Option Entwicklungshilfe und Verschuldung“. Wade ist der Autor eines auf private Großinvestitionen fixierten „Omega-Plans“, der vergangenes Jahr mit dem von Südafrika, Nigeria und Algerien erarbeiteten „Millennium-Plan“ (MAP) auf Beschluss der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) zu Nepad verschmolzen wurde.
Komplizierte Strukturen
Die vier Gründerpräsidenten plus der Präsident Ägyptens bilden einen Nepad-Lenkungsausschuss, der die Nepad-Programme weiterentwickelt und das Nepad-Sekretariat in Südafrika unterhält. Insgesamt haben sich Nepad bisher fünfzehn Länder angeschlossen – nach Regionen aufgeschlüsselt: Algerien, Ägypten, Tunesien; Nigeria, Senegal, Mali; Kamerun, Gabun, São Tomé; Äthiopien, Mauritius, Ruanda; sowie Südafrika, Botswana und Mosambik. Sie alle treffen sich regelmäßig. Geplant ist auch ein System der „gegenseitigen Kontrolle“ (Peer Review), mit dem Afrikas Regierungen die Einhaltung ihrer Verpflichtungen wechselseitig überwachen. Wie dieses System aussieht, ist noch nicht geklärt.
Die G-8-Länder haben einen mindestens ebenso komplizierten Mechanismus ins Leben gerufen. Jede Regierung hat einen Sonderbeauftragen für den Afrika-Aktionsplan ernannt, von denen jeder andere Themen beackert: Die Deutsche Eid zum Beispiel Handel, Investitionen und Markt, der britische Vertreter Konfliktprävention, der Franzose Wasserfragen. Sie treffen sich regelmäßig untereinander und mit ihren Kollegen aus Afrika.
Eingeschränkt wird die Arbeit der G-8-Beauftragten dadurch, dass nur im Konsens gebilligte Themen überhaupt diskutiert werden und nur im Konsens gebilligte Maßnahmen Aufnahme in den Aktionsplan finden. So sind Ernährungsfragen wegen des Streits zwischen der EU und den USA über Gentechnologie ausgeklammert, das heikle Thema Waffenhandel sowieso. Kein Wunder, dass der Aktionsplan nur den kleinsten gemeinsamen Nenner wiedergeben und damit hinter alle Erwartungen vermutlich weit zurückfallen wird.
Dabei ist es die Grundlage des Nepad-Gedankens, dass eine Selbstverpflichtung afrikanischer Führer zur Lösung der von ihnen verursachten Probleme des Kontinents eine entsprechende Selbstverpflichtung der reichen Industrienationen zu Marktöffnung, mehr Investitionen und Entwicklungshilfe nach sich ziehen muss. Sollte der G-8-Gipfel dies aber nicht bringen, gerät das Konzept in Schwierigkeiten. Schon lästern Nepad-Kritiker in Afrika, auf dem Gipfel solle Nepad nicht umgesetzt, sondern beerdigt werden.
Ohnehin fühlen sich die 36 Länder Afrikas, die nicht direkt Teil von Nepad sind, aus der Debatte ausgeschlossen. Mehr Staatsoberhäupter müssten die Ziele von Nepad weiterverbreiten, anstatt es als „vom Ausland aufgezwungenes Konzept zu verurteilen“, kritisierte Südafrikas Präsident Thabo Mbeki kürzlich seine Kollegen. Außerdem wissen die Bürger Afrikas noch nicht allzu viel über Nepad. Das Nepad-Sekretariat organisiert zwar in Südafrika eine enorme Kampagne, damit jedes Schulkind Unterrichtsmaterialien in einheimischen Sprachen erhält und die Nepad-Ziele herunterbeten kann. Aber je bekannter Nepad wird, desto mehr fragen sich zivilgesellschaftliche Gruppen, mit welchem Recht hier wieder ein exklusiver Politikerclub von Staatschefs bestimmen will, wo es in Afrika langgeht.
Skeptische Experten
So erklärte der Sozialwissenschaftlerverband Codesria, ein führender Zusammenschluss afrikanischer Intellektueller, bei einer Konferenz in Ghana im April Nepad zu einem „Rückschritt“, an dessen Entstehen „trotz seiner erklärten Anerkennung der zentralen Rolle der Menschen Afrikas die afrikanischen Völker keinen Anteil“ hatten. Er richte sich nicht an Afrikaner, sondern an die ausländischen Geber.
Auch Experten sind skeptisch, wenn auch aus anderen Gründen. Der Vorsitzende der UN-Wirtschaftskommission für Afrika, K. Y. Amoako, wies Ende Mai in Äthiopien auf erhebliche Lücken im Nepad-Konzept hin. So sei es dringend nötig, die Armutsbekämpfungsprogramme der Weltbank – deren Ausweitung ein Teil von Nepad ist – besser auf länderspezifische Gegebenheiten abzustimmen. Außerdem sei die Kontrolle der Effektivität von Staatsausgaben und Entwicklungshilfe ein zentrales Problem. Vertreter zivilgesellschaftlicher Gruppen wiederum verlangen, in den Nepad-Mechanismus zur „gegenseitigen Überwachung“ einbezogen zu werden.
Es liegt auch an diesen Diskussionen, dass die Erwartungen im Vorfeld des Gipfels kleiner geworden sind. Das passt auch zur Nepad-Philosophie, die auf Marktkräfte mehr setzt als auf Politikerworte. „Wir glauben, dass am Ende die Kräfte des Marktes bestimmen werden“, sagt Südafrikas stellvertretender Außenminister Aziz Pahad. Mit anderen Worten: Auch ohne G-8-Hilfe wird Nepad weiterexistieren, samt all seinen komplizierten Strukturen. Nur wird die Bereitschaft Afrikas, sich Lektionen über korrekte Wirtschaftspolitik anzuhören, mit jedem nicht erfüllten Hilfsversprechen der reichen Länder geringer.
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