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Mit Seil und Säge ins Geäst

Eine Gruppe von Berufskletterern hat sich auf ökologische Baumpflege spezialisiert und selbständig gemacht. Sie haben einen ungewöhnlichen Job, der Naturliebe und Abenteuerlust verknüpft

Wer mit dem Fahrkorb an eine Baumkrone heranfährt, muss sich den Weg zu den toten Ästen erst freisägen

von Kaija Kutter

„Ich hab manchmal Gewissensbisse, für wen wir das machen“, sagt Lutz Hoffmann. „Wahrscheinlich für die Menschen, weil die Bäume in der Stadt stehen.“ Schweiß perlt auf seiner Stirn. Es ist heiß, er ist gerade von einer 25 Meter hohen Eiche heruntergeklettert. Der 150 Jahre alte Baum und die alte Buche daneben in einem Blankeneser Privatgarten bieten Hoffmann und seinen Kollegen für den ganzen Tag zu tun.

Tote Äste müssen in 20 Meter Höhe herausgesägt und abgeseilt werden. Auch gesunde Zweige, die gegen das Wohnhaus oder andere Äste scheuern, werden entfernt. Und weil man verhindern will, dass die Baumkrone eine Tages auseinanderbricht, werden zu schwere Äste durch Einkürzungen entlastet. Die Kletterspezialisten, die sich mit kleinen Firmen mit Namen wie „Astwerk“, „Treemann Freemann“ oder „Arbor Artist“ selbständig machten, gehen dabei ganz behutsam vor. Die Hubwagen mit Fahrkörben, wie sie herkömmliche Baumpfleger benutzen, verdichten den Boden und beschädigen dabei das Wurzelwerk, erklärt Hoffmanns Kollege Niels Martensen. Die Baumkletterer hingegen werfen an einem Wurfsäckchen eine dünne Schnur ins Geäst und ziehen daran festere Seile hoch. Oder sie schießen das Seil mit einer Zwille in die Höhe. Mit Sicherheitsgurt und Handsäge klettern sie dann in die Schwindel erregende Höhe. Wer mit dem Fahrkorb an eine Baumkrone heranfährt, muss sich den Weg zu den toten Ästen erst freisägen. „Wir dagegen kommen vom Inneren des Baumes viel gezielter heran“, sagt Hoffmann.

Baumkletterer ist kein geschützter Beruf, und „natürlich passiert da auch mal was“. Man könne nie ganz sicher erkennen, wie stabil ein Baum wirklich ist. Drei einwöchige Kurse in einer der Baumkletterschulen, die vor allem in Süddeutschland sitzen, sei schon Voraussetzung, sagt Niels Martensen. „Und zig Kurse über Baumstatik und Baumbiologie“ sollte man auch machen.

Dieses umfangreiche Wissen über die grünen Riesen, das in Hamburg beispielsweise das Lohbrügger Institut für Baumpflege vermittelt, erklärt auch Lutz Hoffmanns eingangs erwähnte Gewissensbisse. Denn eigentlich käme die Natur, wenn man sie nur ließe, auch allein ganz gut zurecht.

„Erst heute früh bin ich am Falkensteiner Ufer an einer Buche vorbeigekommen, da ist eine Riesenhälfte rausgebrochen“, berichtet Hoffmann. „Das sind Schäden, die hätten bei rechtzeitiger Baumpflege vermieden werden können.“ Hier wird der Kletterspezialist gleich wieder nachdenklich. Denn das Auseinanderbrechen einer alten Krone ist schlicht die natürliche Art eines Baumes, zu sterben. Und auch die biologisch wertvollste. Das verrottende Holz bietet Vögeln Brutplätze und Kleintieren und Mikroorganismen Nahrung und Lebensraum. Hoffmann: „Nur leben wir leider nun mal in der Stadt.“

Der Blankeneser Hausbesitzer hat schon aus Eigeninteresse den Baumdienst gerufen. Er will nicht von herabstürzendem Totholz verletzt werden. An öffentlichen Wegen kommen Vorschriften hinzu. Bis in vier Meter Höhe müssen für den „Lichtraumschnitt“ Baumäste entfernt werden, an Wohnstraßen bis zweieinhalb Meter.

Brutal und für die Bäume ganz schlecht, so Martensen, sei die Art, wie an Landstraßen gearbeitet werde. Mit Riesenheckenscheren werden bis in vier Meter Höhe alle vorstehenden Äste abgehackt. Auch Hobbygärtner können großen Schaden anrichten, wenn sie einfach drauf los sägen. „Wir machen auch Gutachten oder beraten Gartenbesitzer“, erklärt Hoffmann. Der Flyer der „Arbeitsgemeinschaft Hamburger Baumpfleger und Berufskletterer“ klärt schon mal über die gröbsten Fehlerquellen auf. „Alle Schnittmaßnahmen bedürfen einer Begründung“, heißt es dort. Als Anleitung für die richtige Schnittführung solle die Natur als Beispiel genommen werden. So bricht ein toter Ast am Astring ab, jene Stelle, an der ein Baum eigene pilzwidrige Substanzen hat, die eine Fäule verhindern. Und wer einen Ast abschneidet, muss stets darauf achten, dass ein begrünter „Zugast“ erhalten bleibt.

Manche der Erkenntnisse, die Hobbygärtner auch auf der Homepage www.hamburger-baumpflege.de nachlesen können, sind brandaktuell. So entdeckten Baumbiologen erst vor wenigen Jahren, dass es gar keinen Sinn macht, die Bäume im Winter zu beschneiden. Die Tradition beim Ostbaumschnitt wurde einfach unkritisch auf alle Grünhölzer übertragen. Hoffmann: „Heute weiß man, dass der Schnitt im Sommer viel sinnvoller ist. Denn wenn im Baum alle biologischen Prozesse im Gang sind, können die Wunden viel besser verheilen.“

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