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Drei Länder auf zwei Rädern

Der „Euroregion Neiße“ geht es nicht besonders gut. Das „Dreiländereck“ Deutschlands, Polens und Tschechiens mit seinen 300 Kilometern Staatsgrenze sieht seine Chance im Fahrradtourismus. „Oder-Neiße-Radweg“ heißt das gemeinsame Projekt

Das Naturerlebnis wechselt mit abenteuerlichemOst-Feeling

von CHRISTOPH RASCH

Milan Faltus sitzt mit seinen deutschen Gästen am See. Faltus ist Bürgermeister des tschechischen Städtchens Hradek an der Neiße. Er blickt in den bedeckten Himmel. „Wir sind ja der Nachttopf der Republik“, sagt er, „weil es so oft regnet.“ Dann zeigt er in Richtung der deutschen Grenze: „Ob dort unsere Zukunft liegt, weiß ich nicht“, sagt Milan Faltus, „aber seit die Grenze offen ist, haben wir eine neue Chance.“

Nein, gut geht es der „Euroregion Neiße“ nicht unbedingt. Auch nicht auf der deutschen Seite, im südöstlichsten Sachsen. Dort stehen reihenweise Häuser in den historischen Innenstädten leer. Textil-, Maschinenindustrie und Tagebergbau sind abgewickelt, 20 Prozent der Menschen sind seit der Wende abgewandert, die Arbeitslosenzahlen bewegen sich heute in ähnlicher Größenordnung. Sie ist so etwas wie eine wirtschaftliche „Sackgasse“, sagt der Zittauer Landrat Günter Vallentin: „Sie“, das ist der hinterste Zipfel der EU – das „Dreiländereck“ Deutschlands, Polens und Tschechiens.

Die Verantwortlichen auf allen drei Seiten haben erkannt: Die Euroregion mit ihren 300 Kilometern Staatsgrenze ist auch 12 Jahre nach der Wende noch „tiefste Provinz“. Man habe nur „gemeinsam“ eine Chance – und sucht diese nun im Tourismus. Zumindest dabei will man nicht mehr Sackgasse sein – 50 touristische Grenzübergänge entstanden in den vergangenen Jahren.

Und die Mutter aller Urlauberkonzepte in der Region soll nun der Fahrradtourismus werden. Das südliche Ende des 530 Kilometer langen Oder-Neiße-Radwegs – dem Modellweg für das geplante deutsche Radfernwegenetz (D-Netz) – soll ausgebaut und mit vorhandenen Radwegen der Region verknüpft werden, etwa dem Rundweg am „Dreiländerpunkt“. Der ist schon mit mehrsprachigen Infotafeln und einer länderübergreifenden, einheitlichen Beschilderung ausgestattet. Ganze 60 „thematische“ Radwege gibt es inzwischen in der Oberlausitz. „Frosch“-, „Rübezahl“- , „Umgebindehaus“-Radweg & Co. ziehen sich auf rund 2.000 Kilometern durch Wälder und entlang von Flüssen, vorbei an romantischen Berglandschaften ebenso wie an stillgelegten Braunkohlelöchern.

Die Mischung hat etwas: Das Naturerlebnis auf frisch asphaltierten Radpisten wechselt mit abenteuerlichem Ost-Feeling. Auf dem Neiße-Rundweg etwa passiert man Schlagbäume an gleich drei Staatsgrenzen, fährt vorbei an den Buden der polnischen Ramsch- und Zigarettenhändler und landet schließlich in tschechischen Camping-Reservaten am Baggersee.

Wer in der „Euroregion Neiße“ als Fahrradtourist unterwegs ist, muss auch Pionierbewusstsein mitbringen. Nicht nur deshalb, weil Wege oft schlecht sind oder auf Straßen entlangführen, oder weil es mit der Beschilderung mancherorts doch noch nicht klappt. Es gibt auch noch Hindernisse bei der Koordination. „Die Verwaltung schläft“, sagt Gastwirt Dietmar Dörfer aus Görlitz. Dort, direkt am Ufer der Neiße, betreibt Dörfer die „östlichste Gaststätte Deutschlands“ – dazu gehören seit kurzem auch sechs diebstahlsichere Fahrrad-Boxen für seine Gäste. Doch kein Touristenprojekt und kein Schild weise darauf hin – und insgesamt sei die Ausschilderung für Radtouristen schlecht.

Das Radfahren selbst entschädigt für vieles. Es ist still auf dem Waldweg, nur das Rauschen der schlammtrüben Neiße ist zu hören, auf dem Weg von Hirschfelde nördlich von Zittau bis zum Zisterzienserkloster Sankt Marienthal, einer touristischen Perle der Region. Entlang der einstigen „Friedensgrenze“ der DDR mit Polen hat der Radler heute wirklich seinen Frieden. Am anderen Ufer der Neiße, in Polen hat man es in Sachen Tourismus allerdings nicht immer leicht – denn dort läuft der Braunkohletagebau noch, und am Horizont rauchen die Türme des riesigen Kohlekraftwerks. „Die Polen ziehen noch nicht so richtig mit“, heißt es deshalb bei den Radwanderinitiatoren in Sachsen. „Wenn ich ein Schild an einen Baum nagle, habe ich noch lange keine funktionierende Radweg-Infrastruktur“, sagt Wolfgang Michel, Tourismusmanager der Stadt Görlitz, süffisant in Richtung polnischem Zgorzelec. Die Hoffnung auf eine baldige EU-Osterweiterung, sagt Michel, sei zweischneidig: „Wir sind auf gute Zusammenarbeit angewiesen – und gleichzeitig Konkurrenten.“

Doch Konkurrenz belebt bekanntlich das Geschäft. Und auch die Nachbarn in der Tschechischen Republik bauen ihre Radwander-Infrastruktur fleißig aus. Die Mittel dafür stammen nicht nur aus Phare-Fördergeldern der EU, sondern auch aus dem nationalen „Generalplan“ der tschechischen Regierung zum Radwegebau. Im tschechischen Liberec etwa entsteht ein Register aller Radwege. Nicht nur deren Zustand und Höhenprofile werden erfasst, sondern auch alle Sehenswürdigkeiten. Alles soll sich demnächst in dreisprachigen Karten wiederfinden. Ein umgebauter „Cyklobus“ mit 25 Stellplätzen für Fahrräder pendelt mehrmals am Tag in der Region, und auch eine Beschilderung der Radwege nach Nummern gibt es hier schon.

Und das 56 Kilometer lange Teilstück des Oder-Neiße-Radwegs von der Neiße-Quelle im Isergebirge über Jablonec, Liberec bis zur deutschen Grenze könnte dabei abwechslungsreicher kaum sein: Die „Cyklotrasa Odra-Nisa“ führt durch Berg- und Flusstallandschaften, durch schattige Alleen und vorbei an historischen Bauten und alten Industrieruinen. Auch das Städtchen Hradek an der Neiße war früher von Industrie geprägt. Bürgermeister Milan Faltus hat noch keine Statistiken, ob die 45 Restaurants, zwei Hotels und Campinganlagen von den Fahrradtouristen profitiert haben. Dass die einmal zu einer seiner wichtigsten Einnahmequellen werden, glaubt er trotzdem. Und lässt weiter Radwege bauen.

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