: „Das Schloss? Weil es schön ist“
Nach zwölf Jahren öffentlicher Debatte entscheidet der Bundestag am morgigen Donnerstag über den Wiederaufbau der barocken Schlossfassade
aus Berlin UWE RADA
Wo die Mitte Berlins ist, darüber hat am vergangenen Wochenende das Volk abgestimmt. Nach dem Gewinn der Vizeweltmeisterschaft und des dritten WM-Platzes feierten deutsche wie türkische Berliner ihre Kickeridole am Kurfürstendamm. Vor der Kulisse der zerstörten Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und ihres modernen Anbaus von Egon Eiermann demonstrierten die türkischen und deutschen Fußballfans auch ein neues Selbstbewusstsein Berlins auf dem Weg zur multikulturellen Metropole.
Eine Selbstverständigung über das künftige Berlin steht auch auf der Tagesordnung, wenn am Donnerstag der Bundestag zusammenkommt, um Jahre nach der Entscheidung über die Reichstagskuppel einmal mehr über Architektur zu befinden. Zur Abstimmung steht der Bericht der Internationalen Expertenkommission „Historische Mitte Berlin“ und damit die Frage, ob Berlin wieder eine historische Schlossfassade bekommt oder ob moderne Architekten dem Gelände des 1950 gesprengten Preußenschlosses ihren Stempel aufdrücken.
Eine über Monate hinweg errichtete Schlossattrappe, hitzige Dauerdebatten in den Feuilletons, ein mehr oder minder sachverständiges Kanzlerwort („Ich will das Schloss, weil es schön ist“), die Bemühungen um den Erhalt des Palastes der Republik und das kompromisslose Eintreten der Architektenschaft gegen Schlüter und für die Moderne haben in den vergangenen zwölf Jahren ordentlich Holz aufs Feuer gelegt. Kaum eine städtebauliche Debatte wurde hierzulande hitziger geführt als die um die Zukunft des Schlossplatzes, von der Diskussion um das Holocaust-Mahnmal vielleicht einmal abgesehen. Vor diesem Hintergrund mag vielleicht überraschen, dass am Donnerstag weder die Abgeordneten durch ein Spalier der Demonstranten laufen müssen, noch am Schlossplatz eine Kundgebung gegen eine nostalgische Geschichtspolitik der schwarz-rot-grünen Schlossbefürworter stattfindet.
Dass die Diskussion nun, da sie vor ihrer endgültigen Entscheidung steht, derart an Symbolik verloren hat, liegt nicht nur am immer undurchsichtiger werdenden Dschungel von Akteuren und Zuständigkeiten. Mit dem inzwischen besiegelten Ende des Palastes der Republik ist der Debatte auch ihr ideologischer Kristallationspunkt abhanden gekommen. Es lässt sich eben nicht mit großer Geste für eine moderne Architektur an Stelle von Schloss und Palast streiten, die man noch gar nicht kennt.
Seit der 1994 von Berlins selbst ernanntem Schlossherrn Wilhelm von Boddien errichteten Attrappe, die den Schlossbefürwortern das Bild für ihre Sehnsüchte lieferte, sind inzwischen viele Jahre und viele andere Diskussionen ins Land gegangen, die im Rückblick zumindest ebenso wichtige Selbstgespräche der Berliner über den Charakter ihrer Stadt waren. Wie sich die Stadt nach innen und außen präsentiert, wurde in den Kontroversen über den Regierungsumzug vom Rhein an die Spree ebenso verhandelt wie in der Diskussion um das Holocaust-Mahnmal und damit der Erinnerungspolitik der Berliner Republik.
Auch die großen städtebaulichen Kontroversen waren zugleich Standortbestimmungen Berliner und deutscher Befindlichkeiten. So ging es im „Berliner Architekturstreit“ nicht nur um die Frage, ob sich das „neue Berlin“ mit Wolkenkratzern oder mit der „kritischen“ Rekonstruktion der alten Blockbebauung ins urbane Gefüge der internationalen Metropolen einreiht – sondern auch darum, ob Berlin sein Heil in einer widersprüchlichen Vergangenheit oder in einer nicht minder widersprüchlichen Zukunft sucht.
In der Debatte um die DDR-Nachkriegsmoderne schließlich, eher um den Alexanderplatz geführt als um den Palast der Republik, ging es nicht zuletzt um die Teilhabe der Ostberliner an der Gestaltung der wiedervereinigten Stadt.
All diesen Debatten gemeinsam ist, dass an ihrem Ende nichts Hegemoniales steht, sondern die Fortschreibung der Berliner Geschichte als „viele Städte“. Der Alexanderplatz ist noch immer der moderne „People’s Place“, der er zu DDR-Zeiten, mehr noch zu Wendezeiten war. Der Pariser Platz wurde zur exklusiven „guten Stube“ der Stadt, der Potsdamer Platz mit seiner architektonischen High-Tech-Performance zur neuen Touristenattraktion. Wenn die Abgeordneten des Deutschen Bundestages über die Gestaltung des Schlossplatzes abstimmen, werden sie eines damit nicht mehr tun: eine Entscheidung über einen symbolischen Ort in der Mitte Berlins, ja der gesamten Bundesrepublik treffen.
Vielmehr geht es nur noch um die architektonische Zukunft eines regionalen Ortes, irgendwo zwischen Alexanderplatz und ehemaligen Außenministerium der DDR. Dort hat selbst die Grundsteinlegung der Bertelsmann-Gruppe für eine neue Konzernrepräsentanz hat in der Hauptstadt in der vergangenen Woche keine Aufregung mehr verursacht. Dabei könnten sowohl Architektur (die Wiedererrichtung des Kommandantenhauses aus dem 18. Jahrhundert) wie auch Adresse (Unter den Linden 1) symbolischer nicht sein.
Die abhanden gekommene Symbolik wiedererbauter Schlösser macht inzwischen übrigens nicht einmal mehr vor Warschau Halt. Das dort Anfang der Siebzigerjahre wieder aufgebaute Königsschloss wird hierzulande immer wieder auch als Argument für den Wiederaufbau des Berliner Preußenschlosses ins Feld geführt. Dabei wird gleich zweierlei außer Acht gelassne. Zum einen markiert der Warschauer Schlossbau die endgültige Abkehr von der Wiederaufbauphase der polnischen Nachkriegszeit. Zum andern ist gerade dieser Tage zu sehen, wie man ein solches Schloss auch nutzen kann. Als Gegenleistung für die Beteiligung an der Renovierung der Innenräume ist über die gesamte Außenfront des Schlosses ein riesiges grünes Werbeplakat der Firma Jacobs gespannt.
Aber vielleicht ist das ja tatsächlich ein Vorbild für Berlin. Wenn es um die Weltmeisterschaftsfeiern 2006 geht, könnte die Bitburger Brauerei mit einem schlossübergreifenden Transparent versuchen, die Berliner Fußballfans statt auf den Kurfürstendamm an den Schlossplatz zu locken.
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