: Zwischen Gewöhnung und Aufbruch
Wer wohnt wie? Und was bedeutet Wohnen überhaupt? Mittags in der Küche kochen oder abends auf der Couch TV gucken? Von „Collectoholics“, Eichenschrankwand-Besitzern und Rollheimern: Drei indiskrete Einblicke in private Lebensräume
von LARS KLAASSEN
Das Problem fängt schon bei diesem seltsamen Tätigkeitwörtchen an: „Wohnen“, wann und wie macht man das überhaupt? Mittags in der Küche beim Kochen oder abends auf der Couch beim Fernsehgucken? In Eckhard Henscheids Roman „Geht in Ordnung – sowieso – – genau – – –“ wird uns der „Privatier“ Herr Rösselmann als „begnadeter Wohner“ vorgestellt – ohne dass wir jemals Näheres über sein Metier erfahren.
Die eigentliche Bedeutung des Wortes „wohnen“, das schon aus dem Altgermanischen überliefert ist, meint „nach etwas trachten“. Daraus entwickelte sich später „gefallen finden“ und schließlich die heute allein bestehende Bedeutung im Sinne von „sich aufhalten“. Nach etwas im Leben zu trachten, am Erreichten auch noch Gefallen zu finden, um sich letztlich an das Liebgewonnene zu gewöhnen: das ist wohl eine Kunst.
Alltägliche Kunst
Eine, die das Wohnen zur Kunst gemacht hat und imitten dieser Kunst wohnt, ist Laura Kikauka. Ihre Zweizimmerwohnung in Berlin-Mitte ist bis in den letzten Winkel mit Abstrusitäten gespickt. Sie selbst bezeichnet sich als „collectoholic“, von einer Sammelleidenschaft besessen. Plastiksouvenirs, Plüschtiere, alter Hausrat, Werbeartikel, schrille Klamotten: Laura lebt in einem Panoptikum ausrangierter, zum größten Teil nutzloser Konsumartikel.
„Nicht ich bin es, die all diese Dinge findet, sondern die Sachen finden mich“, beschreibt die Künstlerin den Prozess des Sammelns. Sie sieht die Alltagsgegenstände auf der Straße, im Sperrmüll, auf Flohmärkten und muss sie dann einfach mitnehmen. „Das ist wie Magnetismus.“
Dieses Kabinett der Monstrositäten ist jedoch mehr als nur ein Friedhof der Überreste unserer Überfluss- und Wegwerfgesellschaft. Laura bastelt und werkelt aus all diesen Einzelteilen des Zivilisationsschrotts völlig neu komponierte Ensembles, die sie oft mit ein paar simplen elektronischen Tricks zum Leben erweckt. Die Wohnung auf einer ehemaligen Fabriketage in einem der klassischen Berliner Hinterhöfe ist vor allem eine Werkstatt mit unzähligen Ersatzteilen, keine künstlerische Installation. Was hier Kunst wird, wird anderswo ausgestellt: Einen Teil ihrer Wohnung hat die 1963 geborene Kanadierin im Hannoveraner Sprengel Museum nachgebaut. Auch die Einrichtung des legendären Kult-Clubs „Schmalzwald“ trug ihre Handschrift. Das mit Plüsch und Kitsch voll gepfropfte Zelt inmitten ihres Arbeits- und Wohnzimmers – die campingkompatible Miniaturausgabe ihrer eigenen Residenz – wurde unter anderem sogar in Hongkong ausgestellt.
Laura hat ihr Heim auf den Namen „Funny Farm East“ getauft. Denn eigentlich ist ihre Wohnung in Berlin ein Ableger der „Funny Farm“ im kanadischen Markdale. In dem 18 Räume umfassenden Farmhaus lebten ihre Eltern. Als die auszogen, brachte Laura ihr ganzes Zeug dorthin, um hier mit ihren Kunstwerken zu leben. Jedes Zimmer wurde mit Objekten einer bestimmten Farbe eingerichtet. Es begann mit Beige, danach folgte Türkis, später Rosa. „Es war absolut nicht so, dass ich die Farben mochte, aber versammelt in einem Raum, verloren die Dinge ihre Hässlichkeit. Ich war froh, als diese Phase vorbei war.“ Bis 1997 existierte die „Funny Farm“. Ebenfalls in Kanada, in Meaford, entsteht zurzeit eine neue. Aber auch in ihrer Berliner Wohnung wird Laura weiterhin sammeln, basteln – und nicht zuletzt auch wohnen.
Gelsenkirchener Barock
Kunst hat auch in der Wohnung von Hannelore und Manfred Engels ihren Platz – einen ganz bestimmten sogar: An der Wand über der Sofaecke hängt eine Stadtansicht von Kleve. Von Bedeutung ist das Gemälde nicht nur, weil das Ehepaar den Maler Josef Mooren noch persönlich gekannt hat. Das Motiv ist den beiden vor allem ein Stück schöne Erinnerung an die Heimat. Vor drei Jahren erst sind sie in die Hauptstadt gezogen, in einem Alter, das deutlich über dem Durchschnittsalter der vielen anderen Neuberliner liegt. Hannelore und Manfred Engels sind 67 und 60 Jahre alt; für den Wechsel nach Berlin hatten sie sich damals spontan entschieden – und ihn bislang auch nicht bereut.
Der Ortswechsel in die Hauptstadt war kein Schuss ins Blaue, aber doch ein mutiger Sprung: Beide Söhne leben hier, und nach der Pensionierung Manfred Engels’ wurde es den Duisburgern, die aus der Großstadt am westlichen Ruhrpottrand ins beschauliche Kleve gezogen waren, ebendort ein wenig zu ruhig. Als bei einem Junior im Haus die Erdgeschosswohnung frei wurde, ging alles ganz schnell. Zeit für eine Besichtigung war nicht. Die Engels bekamen vom Vermieter lediglich ein Fax mit dem Grundriss der Wohnung zugesandt. Der Umzug folgte bald darauf.
Ein wenig eng wurde es in der neuen Heimstatt: Von über 100 Quadratmetern in Duisburg und immer noch 90 in Kleve verkleinerte man sich nun auf 80 Quadratmeter. Probleme machte vor allem die über vier Meter lange Eichenschrankwand im Wohnzimmer. „Nur mit Müh und Not haben wir das gute Stück dann hier hereinbekommen.“ Nachdem sich das Ehepaar von ein wenig Ballast befreite, hat es sich nun in Herzen der Metropole, nähe Hermannplatz, wieder genauso gemütlich eingerichtet wie zuvor am Niederrhein. Nach wie vor ist der Fernsehsessel Manfred Engels’ liebstes Möbel und bevorzugter Aufenthaltsort in den eigenen vier Wänden.
Und wenn es insgesamt etwas enger geworden ist, hat man dafür doch andernorts wieder mehr Platz als zuvor. „So große Küchen wie in Berlin habe ich bislang noch nirgends gesehen“, freut sich Hannelore Engels. Und das Wichtigste ist schließlich: Direkt vor der Haustür ist in der neuen Heimat mehr los als in der alten.
On the road again
Mit spontanen Ortswechseln hat auch Arne Wensch bereits einige Erfahrungen gesammelt. Für Bewohner einer Wagenburg sind Umzüge jedoch selten ein Akt freiwilliger Entscheidung. „Bloß weil Rollheimer gerne mal hin und her geschubst werden, heißt das aber noch lange nicht, dass sich bei uns nur Gestrandete versammeln“, betont Arne. Das Leben auf vier Rädern ist für die meisten der rund 25 Bewohner auf dem Gelände neben dem Filmtheater am Friedrichshain eine bewusst gewählte Alternative zur bürgerlichen Existenz.
Hier ist autonomes Leben auch noch mitten in der Stadt möglich. Dass es sich in Arnes Bauwagen bedeutend günstiger wohnen lässt als in einer Mietwohnung, macht vieles einfacher. Vor allem der Druck, ständig Geld verdienen zu müssen, ist dadurch geringer. Doch dieses Leben ist nicht aus materieller Armut heraus geboren, sondern Selbstzweck. Nach mehreren erzwungenen Umzügen mit zunächst ungewissem Ziel ist die Laster- und Hängerburg in Friedrichshain gelandet. An der Ecke Revaler und Modersohnstraße hat sie nun ihr Domizil – vorerst. Arne, einer der Mitbegründer der Wagenburg, hatte zuvor bereits bei den Rollheimern an der East Side Gallery gelebt.
Auch in einem Bauwagen lässt es sich kommod leben, dafür ist Arnes Heim real existierender Beweis. Auf nur wenigen Quadratmetern hat er es sich mit einem breiten Bett, einer kleinen Küchenecke und mit seiner Stereoanlage gemütlich gemacht. Den Strom bezieht er von selbst installierten Solarzellen. Wenn es im Winter richtig kalt wird, sind die geringen Ausmaße des Bauwagens von Vorteil: Der kleine Raum kann mit einem Ofen schnell geheizt werden.
Jeder hier schätzt auch seine Rückzugsmöglichkeiten innerhalb der Wagenburg. Aber gemeinschaftliches Leben steht im Vordergrund. Die Wagenburgler haben eine „Volxküche“ und ein Kino. „Im Verlaufe der Vertreibungen, die wir mittlerweile hinter uns gebracht haben, sind wir politischer geworden“, erzählt Arne. Der Erhalt aller Wagenplätze und Toleranz sind die zentralen Themen. Mit anderen Wagenburgen und den ehemaligen Hausbesetzern in der Rigaer und Köpenicker Straße werden Netzwerke geknüpft. Nur wann es trotz allem wieder „Umziehen!“ heißen wird, weiß keiner. Wohin, auch nicht.
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