: „Wer will, kommt überall durch“
aus Jerusalem SUSANNE KNAUL
Achmad Hamadan sitzt in seinem spartanisch möblierten Architektenbüro vor einem vollen Aschenbecher und einem Computer. Der Palästinenser wohnt in Sur Bacher, einem Dorf im südlichen Teil des „Großraums Jerusalem“. „Mein Vater wäre im vergangenen Sommer hundert Jahre alt geworden. Er kam hier zur Welt“, erzählt er auf die Frage, wie lange seine Familie schon hier wohnt. Nach dem Sechstagekrieg 1967 wurde das Dorf von Israel „eingemeindet“. Die Bewohner haben israelische Ausweise, obwohl sie zu Ostjerusalem gehören und die Ländereien der sechs ansässigen Großfamilien weit in palästinensisches Gebiet reichen. In den kommenden Wochen sollen hier in Sur Bacher die Bauarbeiten für die Trennanlagen zwischen Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten aufgenommen werden.
Sur Bacher ist schon seit einem Jahr nur noch von Norden her zu erreichen. Dicke Felsbrocken versperren die Zufahrt von der Hauptstraße zwischen Jerusalem und Bethlehem. „Im letzten Jahr konnten wir noch ernten“, sagt Achmad, dessen Familie rund 150.000 Quadratmeter Olivenhaine besitzt. Betreten und bearbeiten können werden sie ihr Land nicht mehr, wenn der Trennzaun erst einmal steht. Noch schwerer wird es für die Bewohner von rund hundert Häusern, die in den letzten zehn Jahren gebaut wurden, und die, wie Achmad anhand eines Ortsplans erläutert, außerhalb des Zauns liegen werden.
„Wenn es ginge, würde ich mein Land verkaufen“, sagt der Architekt. Allerdings wäre es ihm lieber, wenn Sur Bacher zur palästinensischen Seite gehören würde. Die Möglichkeit, sich mit seinem israelischen Ausweis frei zu bewegen, sei theoretisch zwar gegeben, „aber wir werden ständig angehalten und kontrolliert. In Palästina hätte ich vielleicht die Möglichkeit, ein normales Leben zu führen.“
Die ihm vorschwebende Eingemeindung in den städitschen Raum von Bethlehem ist indes illusorisch. Erst kürzlich wurde hier, zwischen Sur Bacher und Bethlehem, die jüdische Siedlung Har Choma errichtet. Vor sechs Jahren hatte die Regierung den Bau beschlossen, er wurde vor allem vom sozialistischen Ministerpräsidenten Ehud Barak betrieben. Inzwischen sind die ersten Familien in die mehrstöckigen Neubauten eingezogen. Der billige Wohnraum in unmittelbarer Stadtnähe lockt vor allem junge Israelis.
Nur einige hundert Meter westlich der Hauptstraße steht bereits seit ein paar Wochen das erste Stück Trennzaun, er wird in diesen Tagen zusätzlich mit einem Stacheldrahtaufsatz ausgestattet. Zwei Arbeiter sind gerade dabei, eine Tür in den Zaun zu schneiden, um den Zugang zu einem alten Friedhof zu ermöglichen. Den Schlüssel zur Tür wird später der Sicherheitsbeamte haben, der die insgesamt 1.470 Meter lange Trennlinie bewachen soll. „Wer will, kommt überall durch“, ist Vorarbeiter Schimon überzeugt. Er gibt seinem äthiopischen Kollegen Anweisung, wo er das Loch für den Türrahmen graben soll. Zumindest wisse man in Zukunft, wenn jemand die Trennlinie passiert. „Als wir hier den Zaun errichtet haben, ist alle fünf Minuten ein Palästinenser durchgekommen.“
Der Zaun verläuft zwischen dem palästinensischen Ort Beit Dschalla und der jüdischen Siedlung Gilo. Erst im letzten Monat hat es in Gilo ein Selbstmordattentat mit 19 Toten gegeben. Die Siedlung ist zusätzlich durch den Beschuss von palästinensischer Seite gefährdet. Letztendlich wird an dieser Stelle eine Mauer errichtet werden. Konkrete Baumaßnahmen der Ende Juni von der Regierung beschlossenen Trennanlage finden bislang nur ganz im Norden des Westjordanlandes statt.
Salem ist der letzte israelische Ort vor dem Checkpoint in Richtung Dschenin. Hier ist noch immer ein riesiges Militäraufgebot mit Panzern stationiert. Die palästinensische Stadt steht erneut unter Ausgangssperre. Seit dem Morgen warten eine Ambulanz und ein Lieferwagen mit israelischen Kennzeichen auf die Genehmigung, den Kontrollpunkt in Richtung Autnomiegebiet zu passieren.
Die Wagen haben die Leichen zweier Männer geladen. Der eine war im Verlauf der Militäroperation vor drei Monaten im Flüchtlingslager von Dschenin umgekommen und zur Obduktion nach Tel Aviv gebracht worden. Der Zweite wurde in Jerusalem erschossen; er stand im Verdacht, ein Attentat zu planen. „Unser Toter ist schon gut durchgekocht“, kommentiert einer der Fahrer die Zeit, die sie in der glühenden Sonne ausharren müssen.
Unmittelbar neben dem Kontrollpunkt liegt die Baustelle für die Trennanlage. Hier wird der fünfzig Meter breite Grenzstreifen planiert. Pausenlos fahren Lastwagen das Geröll ab in Richtung Salem, wo es auf Wunsch der Leute aus dem Dorf an einem Abhang abgeladen wird, um dort die Straße zu erweitern. Das Land ist hügelig, karg und voller Steine. Mindestens sechs Monate setzt der vom Verteidigungsministerium beauftragte Bauherr Nezach Meschiach an, bis der neuneinhalb Kilometer lange Trennzaun stehen wird. Als ein kanadisches Fernsehteam den Endvierziger interviewen will, ordnet er an, die Bauarbeiten für fünf Minuten einzustellen. Der Mann mit dunkler Sonnenbrille und wehendem grauem Haar erklärt den Journalisten anhand einer Karte, wo genau der Zaun verlaufen soll.
„Für uns spielen ausschließlich Sicherheitsüberlegungen eine Rolle“, sagt er. Fünfzig Meter ist die Bannmeile breit. Mal reicht sie tiefer ins palästinensische Gebiet, mal sind es auf israelischer Seite ein paar Meter mehr. Alles in allem scheint die Pufferzone in dieser Region unmittelbar entlang der alten Grenze zwischen Israel und Jordanien zu verlaufen.
Auf eine Entschädigung für den Verlust ihres Landes können indes nur die Anwohner auf israelischer Seite hoffen. „Sie haben uns 250 Schekel (rund 100 Euro) pro Olivenbaum angeboten“, berichtet Munir Rabed, der gleich am Ortseingang des arabisch-israelischen Dorfs Salem wohnt. „So viel verdienen wir allein in einer Saison an dem Baum.“ Munirs Kleidung und Hände sind voll Betonspritzer. Der hagere 48-Jährige ist mit einem Anbau für seinen Sohn beschäftigt, der im September heiraten will. Vom Treppenhaus aus kann er die Arbeiten der Bulldozer beobachten. „Der Zaun wird uns keine Sicherheit bringen, sondern den Hass schüren und das Gefühl der Leute auf der anderen Seite, eingeschlossen zu sein.“
Nur einige hundert Meter jenseits der alten Grenze liegt das palästinensische Dorf Romani. „Wir haben alle enge Verwandte dort“, sagt Munir. „Während des [Sechstage-]Krieges sind manche von uns geflüchtet, die anderen sind hier geblieben.“ Seit einem Jahr hat er seine Familie nicht gesehen. „Wenn der Zaun erst einmal steht, werden Besuche ganz unmöglich sein.“ Ob er es vorziehen würde, dass Salem zu Palästina gehört? „Nein, dort ist es auch nicht gut.“
Ein Teil seiner Olivenbäume könnte durch Umpflanzen gerettet werden, doch konkrete Angebote für Ersatzland gibt es noch nicht. Munir glaubt nicht an das Gerede der Regierung: „Es ist, als würde man einem zum Tode Verurteilten anbieten, die Art seiner Hinrichtung selbst zu bestimmen. Letztendlich muss er doch sterben.“ Sollte die Regierung wider Erwarten den Bauern doch einen Landtausch anbieten, „würde keiner von uns ablehnen. Das wäre okay.“ Die staatlichen Behörden seien im Besitz von einigen hundert Quadratkilometern Land in der Umgebung, theoretisch wäre also Ersatzland da.
An seiner staubigen Steinterrasse, auf der ein paar Plastikstühle stehen und Wäsche hängt, fahren unermüdlich die Lastwagen vorbei. „Ich habe mir eine Fuhre vor meinem Haus abladen lassen“, sagt er – wenigstens einen kleinen Gewinn zieht er aus den Bauarbeiten am Trennzaun. Dennoch fürchtet er, dass die Zukunft nicht ruhiger, sondern gerade für die Leute im Grenzgebiet bedrohlicher wird. „Es wird wie in Kirjat Schmona werden, wo die Leute jeden zweiten Tag in die Bunker müssen“, prophezeit er. Kirjat Schmona, im Norden Israels gelegen, stand lange Zeit unter Beschuss der südlibanesischen Hisbullah-Rebellen.
Ein paar Kinder beobachten, wie die Lastwagen an dem Abhang ihre Fuhren abladen. „Die sind aus Romani“, erklärt einer der Fahrer. Ganz so schwer, sich den Durchgang ins israelische Gebiet zu verschaffen, scheint es für die Palästinenser doch noch nicht zu sein.
Der Bau der Trennanlagen beginnt gerade hier, weil ein Großteil der Attentate in den nahe gelegenen israelischen Städten Afula und Hadera stattfand. Die meisten Täter kamen aus Dschenin und Umgebung. „Warum soll ich Probleme mit meiner Aufgabe haben?“, meint einer der Lastwagenfahrer, der selbst israelischer Araber ist, auf dem Rückweg zur Baustelle. „Bis jetzt hat sich noch keiner beschwert.“ Am Kontrollpunkt warten die beiden israelischen Leichentransporter noch immer auf die Genehmigung zur Durchfahrt ins Autonomiegebiet.
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